Rentenantrag



Gestern Nachmittag bemühte ich mich intensiv, die seit einigen Tagen nicht vorhandene Computertechnik einigermaßen wieder herzustellen. Der " Dell Optiplex 740 " hatte seine Dienste quittiert und sein Nachfolger lag noch - bruch - und diebstahlsicher verpackt - in einem riesigen Karton neben meinem Bürosofa.
So nahm ich noch vorlieb mit dem Laptop, auf dem das längst überholte " Windows Vista " installiert ist.
Nun, ja, Not macht erfinderisch und Bill Gate´s Software - Gigant im fernen, feindlichen Amerika wird sich freuen, denn in unserem Haushalt existieren beinahe alle " Windows " - Programme ab " Windows XP ". Und damit genug der Lobhudelei.

Während ich die veraltete Technik malträtierte, gelüstete es mir nach ein wenig aufmunternder Musik. Mein Leib - und Magensender " Krautrock - World. com " war ja noch im Internetradio eingestellt. Also: Fernbedienung an und Musik ab!

Doch: Es tat sich nix. Auf nach mehreren Versuchen nicht. Ich fluchte und drückte auf den Knöpfen der drahtlosen Befehlszentrale herum. Immer noch nichts! Dann gab ich das Experiment auf. Kein " Krautrock ", keine " Krawallmusik ", wie meine bessere Hälfte zu sagen pflegt, wenn ich am späten Abend die sphärischen Klänge über die sperrangelweit geöffnete Küchentür in das Büro und ins Hirn wabern lasse.

Ich versuche es mit " Radio Bremen Eins ": Nö, irgendein deutscher Titel von " Ich & Ich " plärrte aus den Lautsprechern. Darauf hatte ich nun keinen Bock und auch nicht auf die wiederkehrenden Meldungen von MDR aktuell oder NDR info.
Dann fiel mir ein, dass ich ja eine Reihe von weiteren Sendern als Favoriten in dem elektronischen Wunderkasten gespeichert hatte. Ich zappte die Liste durch. Aha!
" ISKC Only Live " las ich auf dem Display.

Das ist ein Internetsender mit Sitz in Rotterdam, also den Niederlanden. Und die können gute, nämlich progressive Musik, alle Male. Also Knopf gedrückt und los geht´s!

Tja, was soll ich sagen. Es erklangen die Töne der Rentnerband schlechthin, der Rolling Stones und die spielten live ein Stück aus den ganz weit entfernt liegenden, den guten, alten Tagen: " You can´t always get what you want ". Eine Live - Version, weil ja " ISKC " eben ausschließlich Live - Titel im Programm hat.
" You can´t always get what you want ", was für eine Anwandlung nostalgischer Gefühlrswallungen stieg jetzt in mir hoch?

Das Stück der Rock - Veteranen ließ mich sofort in die späten 1960er und frühen 1970er Jahre zurück erinnern. Einst - jung, naiv, aber ebenso musikverrückt - dudelte ich das Stück auf meinen Plattenhobeln rauf und runter. Vor allem zu jener Zeit als ich die ersten Monate meiner kaufmännischen Ausbildung absolviert hatte, die ersten Lohntüten, in der sich die eher mickrige Ausbildungsvergütung befand und ich hierüber die ersten Pflichtbeuträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen musste.

Rentenversicherungsbeiträge für die Altersrente, das Altersruhegeld wurden zu jener Zeit an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die BfA in Berlin, über den Arbeitgeber abgeführt. Heute nennt sich diese Institution Deutsche Rentenversicherung Bund ( BVR ). Und dann gibt es ja noch die Landesversicherungsanstalten ( LVA ). Und diese sind zum Teil nach dem 01.01.2005 in die BVR aufgegangen, zum Teil durch die erfolgte Reform zusammengeschlossen worden, so wie die für Sachsen zuständige LVA nunmehr LVA Mitteldeutschland heißt.
Aktenordner verstaut. Diese holte ich aber, während die Rentner um Mick Jagger ihr " You can´t always get what you want " live über den Niederländer im Radio kredenzten, aus dem Büro und legte ihn auf den Küchentisch. Bei einem Pott frisch gebrühten Kaffee begann ich meine Arbeit.

Die Arbeitsgänge waren, Seite für Seite besehen, identisch. Es mussten nach dem Verfahren: " Wir fragen, Sie antworten " nur Kreuzchen in die in Betracht kommenden Kästchen gesetzt werden. dabei ist es aber mehr als ratsam, sich die gestellten Fragen intensiv durchzulesen.

Der erste Fragebogen begann mit dem Eintragen der vergebenen und bis zum letzten Atemzug verbleibdenen Versicherungsnummer. Diese ist je separater Seite immer wieder einzusetzen. Eine mehr als öde und ermüdende Tätigkeit. Aber, gut, ja, gut, ich sach´ma: Es gibt schlimmeres als Rentenanträge.

Der Fragenkatalog beginnt mmit Ziffer 1 und endet bei Ziffer 10, jedoch erhält er weiter Unterrubriken; womit der Antrag auf satte 25 DIN A4 - Seiten anschwillt.

Doch dieses ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es kommen noch einmal drei Seiten des Formblatts R 0240, sieben Seiten R 810 plus drei Seiten Erläuterungen, zwei Seiten R 0990, eine Seite R 0995, zwei Seiten R 0996 sowie - bei Bedarf - zwölf Seiten R 0815 hinzu. Das macht dann in dem Fall meiner besseren Hälfte summa summarum 55 Seiten auf DIN A 4!

Das Ding ist, seit dem ich die letzten Rentenanträge für Mandanten und auch für meine verstorbene Tante ausgefüllt hatte, enorm angeschwollen. Okay, das Sozialsystem wurde immer komplizierter, aber müssen es derart viele Formulare und Seiten sein?

Einst, so in den 1990er Jahren, rief mich meine Tante väterlicherseits an. Tante Gertrud war zu diesem Zeitpunkt 60 Jahre alt und konnte in Rente gehen.Sie war aber mit dem Rentenantrag schon damals heillos überfordert. Und so fuhr ich an einem schönen Maitag in einem der ersten 1990er Jahre nach Bückeburg, um mit ihr den Rentenantrag auszufüllen. Er sollte an die LVA Hannover gestellt werden, die zu jener Zeit zuständig war.

Dazu waren allerdings noch einige Fehlzeiten, so nennt der Amtsschimmel jene Lücken im erfassten Versicherungsverlauf, zu klären. Tante Gertrud sollte den Nachweis erbringen, was sie nach der beendeten achtjährigen Schulzeit gemacht hatte. Sie begann eine Ausbildung oder, wie es damals auch hieß, eine lehre bei der Deutschen Reichsbahn in Breslau ( dem heutigen Wroclaw ). Das war bereits während des II. Weltkriegs. Wroclaw gehörte einst zu Oberschlesien und somit zum Deutschen Reich. Später, nachdem sie die Ausbildung abgeschlossen hatte, war sie bei einem Schlachtermeister in Kreuzburg ( heute: Kloczbork ) als Verkäuferin tätig, ehe sie in den letzten Kriegsmonaten als Flakhelferin eingezogen wurde.

So weit, so gut. Schlecht war nur, dass es darüber keinerlei Dokumente gab. So griff ich zu einem Trick, der im Sozialverwaltungsverfahren eher unüblich, aber durchaus legitim ist, ich ließ meinen Vater eine eidesstattliche Versicherung unterschreiben, in der er die nicht belegten Zeiten bestätigte. Meine Tante bekam diese mit einer Mindestbeitragssumme anerkannt und flugs erhöhte sich ihre Rentenzahlung um ein erkleckliches Sümmchen.

Ich wollte für meine Bemühungen kein Geld haben. Schließlich hatte mir Tante Gertrud während meiner Studienzeit ab und zu einen größeren Schein zugesteckt. Ich hatte als Student ja nüscht und mein Onkel verdiente als " Knochenbrecher " mehr als gut. Als er verstarb, stand Tante Gertrud vor einem Scherbenhaufen. Es war nix mehr da. Die vielen Hunderttausend Deutsche Mark waren, bis auf das lastenfreie Haus, ein Bungalow aus den 1960er Jahren, verprasst. Vorsorge für meine Tante hatte Onkel August nicht getroffen, obwohl er fast 15 Jahre älter war.

Tante Getrud verstarb zu Beginn der Nullerjahre.Immerhin konnte sie beinahe 10 Jahre noch Rente beziehen. Damals gab es da noch den Unterschied zwischen Frauen und Männern. Erstgenannte durften mit 60, die Männer erst mit 65 in den Ruhestand gehen. Heute müssen viele Jahrgänge mit mehr als 65 Jahren arbeiten - sofern sie überhaupt noch eine solche haben -, bis zu 67 Jahren malochen.

Und dieses trifft auch für meine bessere Hälfte und für mich zu. Immerhin gibt es noch eine Rentenzahlung. Wenn wir irgendwann verbuddelt werden, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Da mag Blümchen erzählt haben, was er will.

Aber, jenseits der noch sicheren Renten, muss erst ein Antrag für die Rentengewährung gestellt werden. Das ist für die Mehrzahl schwierig. Vielleicht sogar ein unlösbares Problem. Deshalb gibt es so viele Rentenberater, Rechtsanwälte und sogar Fachanwälte für Sozialrecht. Der CSU - Landesgruppenchef Alexander " der Kleine " Dobrindt würde jetzt von einer Renetenantragsindustrie fabulieren. Doch Doofbrindt spricht dieses nie aus, weil er ja von seinen Graumelierten und der Beratungsindustrie auch gewählt werden will.

Recht muss Recht bleiben, da mag der Flachdenker aus Bayern sagen wat er will. Und weil Recht und Rente sich zum Rentenrecht verknüpfen lässt, fülle ich als Rechtskundiger die Antragschose aus.
" You can t always get what you want " singen die Rentner um Mick Jagger immer noch. Also, so gefühlte Lichtjahre nach dem Ende der 1960er.

Doch: Rente gibt´ s auf jeden Fall, wenn auch erst nach 60 ( 65 ):






.

  





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Was ist eigentlich aus dem Gilb geworden?