Grünkohl auf Bremer Art






Am Samstag war es soweit. Nach vielen Jahren der Enthaltsamkeit, durfte ich eine norddeutsche Spezialität im trauten Heim kredenzen: Grünkohl mit verschiedenster Fleischeinlage und Kartoffeln. Das Rezept hierfür hatte ich so ganz grob noch im Hinterstübchen gespeichert. Schließlich waren die 25 Jahre meiner privaten und beruflichen Verbundenheit zu der Stadtgemeinde Bremen auch kulinarisch nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Neben meiner entwickelten, heiß und innigen Liebe zu dem Sportverein Werder Bremen, den langen Spaziergängen um den Uni See und der Zuneigung zu dem kleinsten, aber feinsten Rundfunksender Radio Bremen, halfen mir auch jene regionalen Essgewohnheiten ein wenig auf den Weg zum assimilierten Bürger der Freie und Hansestadt Bremen.

Tja, die regionale Küche oder die Koch - und Ernährungsgewohnheiten der Bremer unterscheiden sich nicht so dramatisch von denen der übrigen Norddeutschen. Die Kartoffel zählt zweifelsohne zu den Grundnahrungsmitteln. Das Schwein als Spender, jener vielfältigen, durchaus schmackhaften, Fleisch - und Wurstvariationen auch. Und der Flüssigkeitshaushalt wird größtenteils durch Kaffee ( der gute Bohnenkaffee von Jacobs ), Tee ( aus Ostfriesland importiert, mit Kluntje und - generationengerecht - mit Weißer Wolke ) sowie Bier ( Beck´s , Haake Beck oder beliebter Hemelinger, das leider seit einigen Jahren nicht mehr in der Hansestadt gebraut wird ) gedeckt.

In der kalten Jahreszeit aber, so ab Mitte November, wenn dann und wann der Frost seine zarten Spuren in die Bremer Weserlandschaft hinterlassen hat, dann kommt die Hochzeit eines schmackhaften Traditionsgerichts, welches jenseits des veramerikanisierten Fast Food Fraßes, ein absolutes, ein geschmackliches Glanzlicht der Bremer Küche darstellt: Bremer Grünkohl mit Pinkel.

Zum ersten Mal traf ich auf diese Köstlichkeit so Ende des Jahres 1978, als ich mein BWL - Studium in der Freie und Hansestadt Bremen fort setzten, mit dem ehrenden Ziel, auch das Diplom an der dortigen Hochschule für Wirtschaft zu erhalten.
Ich suchte, wie damals viele meiner Kampfgefährten, die die reine, die papierene Lehre von Karl Marx und Friedrich Engels ein wenig übermittelt bekommen wollten, eine Bude in Bremen. Leichter gesagt, als umgesetzt. Es gab kaum - bezahlbaren - Wohnraum. Und in irgendeine WG, die sich in muffigen Altbauzimmern in den so genannten Szene - Viertel  des Ostertor und Steintor, gegründet hatte, wollte ich mich nicht einpferchen lassen. Also kaufte ich mir die Bremer Lokalpresse, den " Weser Kurier " sowie die " Bremer Nachrichten ", setzte mich in eine Kneipe in der Innenstadt, bestellte einen Kaffee und studierte den Wohnungsmarkt. Und just dabei, duftete es von einem Nebentisch nach Kohl. Genauer gesagt nach Grünkohl, den ich als Buten Bremer, also als Niedersachse und genauer, als Schaumburg - Lipper, unter dem Namen " Braunkohl " kannte.

" Braunkohl " deshalb, weil die Kohlpflanze vor deren Ernte,  in jedem Fall, mindestens eine Frostnacht überstehen musste.Danach färben sich - bei bestimmten Sorten - die Blätter bräunlich. Nun, Grünkohl muss somit Frost resistent sein, sonst ist es keiner und schmeckt demnach auch nicht.

So saß ich also an jenem Mittag eines Werktages im  August des Jahres 1978 in der besagten Bremer Innenstadt - Kneipe und las die Zimmerangebote in den Ausgaben des Bremischen Lokalpresse - Monopolisten, denn die " Bremer Nachrichten " waren knapp vier Jahre zuvor an den einstigen Konkurrenten, der " Weser Kurier GmbH " veräußert worden. Die gemeinsamen Anzeigen oder auch Annoncendienste nannten sich " Bremer Anzeigenblock ". Und hierin standen eben auch viele gewerbliche Angebote. Wohnraum somit, der nur über Makler zu erhalten war.
Während ich schon leicht frustriert die Blätter zur Seite legte, den Rest - bereits kalten Jacobs - Kaffee " nippte, sprach mich ein älterer Kneipengast, der meine leichte Verzweiflung im Gesicht registriert hatte, an.
" Sie sind nicht aus Bremen? ", wollte er von mir wissen.
" Nee, aus Niedersachsen, aus Wilhelmshaven! ", antwortete ich ihm.  ( Ich gab meinen Studienort an, weil ich bei ihm einen besseren Eindruck schinden wollte, denn die Pampa des Schaumburger Landes hätte er bestimmt nicht gekannt ).
" Suchst Du ein Zimmer? ", stellte er die Anschlussfrage und verfiel dabei - dem guten Bremer Bier geschuldet - in die Duzform; was mich nicht störte.
" Jau! ", war meine knappe Antwort.
" Nö! ", sagte er, " das wird so nix. Da musste auf ´nen Samstag ganz früh, die Zeitung kaufen und Dich ans Telefon hängen. Nicht wahr, Klaus? "
Ich schaute ihn wohl wie ein stehen gebliebener Trecker an. Telefon? Wie jetzt? Wo jetzt?

Er fragte dann wieder Klaus, der am Nebentisch den Bremer Grünkohl vertilgte, ob das richtig sei, extra nach Bremen zu fahren und an einem Samstag ein Zimmer zu suchen. Klaus bejahte ihm die Frage und gab dazu - mit vollem Mund, versteht sich - das Stakkato ab:
" Klar! Samstag! Gleich! Telefonieren!"
Ich bedankte mich für die Informationen. Dann erzählte mir der Biertrinker, dass er selbst vor Jahren - der Maloche wegen - vom Ruhrgebiet an die Weser umgezogen sei. Dass die Bremer ihm wohl ein wenig zu herrisch, zu eitel, zu arrogant rüber kamen, aber er jetzt nicht wieder wegziehen möchte. Ich sah mir die Speise - und Getränkekarte dabei etwas näher an. Ohne dieses, während des bierseligen Monologs des Gastes aus dem Pütt, unhöflich erscheinen zu lassen.

Hierin war zu lesen: " Bremer Grünkohl mit Pinkel und Salzkartoffeln " - 7,80 DM.
Ich hatte zwar auch Kohldampf, traute mich aber nicht so richtig und war andererseits wohl auch zu geizig. Deshalb bestellte ich noch eine Tasse Kaffee, trank diese dann aus, bezahlte, verabschiedete mich noch mit einem erneuten Dank und dem obligatorischen " Tschüß " und ging zu meinem Parkplatz, wo der grüne R 4 auf mich artete. Abfahrt - zurück an die Küste, nach Wilhelmshaven, und einen neuen Versuch starten.

Einige Jahre später, ich hatte mein BWL - Studium erfolgreich beendet, lernte ich Amir S. kennen. Er war Student der Elektrotechnik an der Uni Bremen, inzwischen verheiratet, Vater eines zweijährigen Sohnes und stammte aus dem Iran ( aus Persien ), wo mittlerweile der Ajatollah Khomeini wütete, um seinen Islamischen Staat aufzuzwingen. Amir S. war - wie beinahe alle anderen, mir bekannten arabischen oder iranischen Kommilitonen und Freunde, natürlich Moslem. Das bedeutete, er aß kein Schweinefleisch. Seine Frau, eine gebürtige Bremerin, kochte indes traditionell; damit auch Gerichte mit Schweinefleisch. Also, entstand damit ein  kulinarischer Zielkonflikt. Allerdings nur in der Theorie. In der Praxis kochte B., die Frau meines persischen Freundes, das, was ihr zuvor über ihre Mutter beigebracht wurde: Typisch deutsche und bremische Gerichte.

So natürlich auch " Bremer Knipp ", " Bremer Labskaus " oder " Bremer Grünkohl ". Und ihr Mann aß diese Gerichte auch. Jedoch bediente sie sich dabei eines einfachen, aber genialen Tricks. Sie verschwieg, dass es Speisen mit Schweinefleisch waren. Just jenen " Bremer Grünkohl " aß ich dann an irgendeinem Besuchstag in den frühen 1980er Jahren bei der Familie S. zum ersten Mal. Er schmeckte wirklich köstlich, weil würzig und gehaltvoll zeigte sich das Gericht auch. Ich war pappsatt.

Nun also startete ich in dem südöstlichen Teil des wiedervereinigten " Vaterlandes " meinen ersten Versuch, den Grünkohl nach " Bremer Art " auf den Holzküchentisch zu zaubern. Das Rezept hatte ich - um, wie es meinem SV Werder am 17. Spieltag widerfuhr, - keinen Abwehrfehler zu machen, aus dem Internet herunter geladen und ausgedruckt, mir durchgelesen und die Zutaten einen Tag zuvor ( siehe den " REWE " - Artikel ) sowie am Samstagvormittag eingekauft.

Die Zubereitung der norddeutschen Köstlichkeit konnte deshalb beginnen. Allerdings mit drei - mehr oder minder - gravierenden Einschränkungen / Änderungen bei den Zutaten:

1. Statt des frischen, Ernte frischen Grünkohls hatte ich zwei Glas eingekochten, der Firma " Kühne " bei " REWE " erworben.

2. Statt der Grützwürste, auch " Pinkel " genant, musste ich eine Variante von Mettenden verwenden.

3. Statt der Hafergrütze konnte ich den Kohl - Sud mit Weizenkleie strecken. Es gehen aber auch - so die Zubereitung in Wilhelmshaven - Haferflocken, fein.

Ich legte jetzt mit folgenden Zutaten los:



1 kgGrünkohl, frisch, (muß einal Frost gehabt haben) oder entsprechende Menge TK-Grünkohl
Margarine
1,33 Zwiebel(n)
Wasser, nach Belieben (lieber etwas weniger angießen und nachgießen)
267 gKasseler vom Stiel
0,33 Scheibe/nSpeck,Bauchspeck, fingerdick
2 Stück(e)Wurst (Kochwürste)
2 Stück(e)Wurst (Schinkenpfefferle)
1,67 Stück(e)Wurst,Pinkelwürste (Grützwurst: gefüllt mit Speck, Schinken, Gewürze, Zwiebeln und Hafergrütze)
Salz und Pfeffer
Brühe (Instant)
Senf
Piment (nicht zu viel)
1 ELHafergrütze
 n. B.Zucker


Zunächst wird ein wenig Wasser in einen - je nach Anzahl der Portionen - ausreichend großen Kochtopf gegossen. Wer die gehaltvollere, also Kalorien reichere Speise bevorzugt, darf dazu Schmalz verwenden.
Dann werden die Zwiebeln fein gehackt. Ich habe insgesamt vier mittel große Augenbeißer genommen.
Diese kommen anschließend in das verflüssigte Schmalz oder das heiße Wasser in den auf mittlerer Temperatur erhitzten Topf.

Wer den Kohl frisch gekauft hat, muss diesen Abbrausen, von den Strunken abknipsen, klein schneiden / fein hacken und dann in den Topf geben. Wer Fertig - Kohl hat, öffnet einfach nur die Konserve. Die Flüssigkeit davon habe ich mit verwendet.

Danach wird die Hafergrütze oder die auch möglichen Bindemittel hinzu gegeben. Anschließend sollte genügend Wasser auf den Kohl gegossen werden, der weiter auf mittlerer Temperatur köcheln muss.

Nun kommen die Gewürze, das Salz, der Zucker, der scharfe Senf ( ich habe Bautzner genommen ) hinzu. Der Hobbykoch ist gut beraten, den Kohl mehrere Male abzuschmecken, weil Grünkohl an sich nur fade schmeckt.

Dann kommen die Fleischeinlage auf und unter den Braunkohl.

Den Kochtopf nun abdecken und den Grünkohl mindestens zwei Stunden auf kleinerer Temperatur vor sich hin köcheln lassen.
Danach ausstellen, abkühlen lassen und kühl aufbewahren, sofern er nicht noch am selben Tag verzehrt werden soll.
In diesem Fall müssten genügend Kartoffeln geschält und gekocht werden.

Bleibt der Grünkohl einen Tag lang kühl stehen, schmeckt er danach umso besser, weil der Sud dann richtig eingezogen ist. Gleiches gilt für das beiliegende Fleisch und die Würste.

Wer nicht gerade an einer Kohlfahrt teil nimmt, darf sich nach dem genussvollen Essen, ruhig ein Schnäpschen gönnen. Dieser Klare dient der Verdauung und beugt Sodbrennen und Blähungen vor.

Ein kaltes Bier ( Jever, Beck´s oder ein Hemelinger, ein Flensburger oder auch Radeberger ) ist zu dem Mahl das richtige Getränk.

Na, denn: " Eeen Guaten! "

Emerosn, Lake & Palmer mit: " Karn Evil No.9, 1st Impression, Part 2 " aus dem legendären Album " Brain Salad Surgery " ( 1973 ):







  


Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Grünkohl für umgerechnet unter 4 Euro... Der Traum! ;o)
Lobster53 hat gesagt…
Leider sind die besseren Zeiten - auch für Bremen - längst vorbei. Bis auf den Grün - oder Braunkohl, eben!

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