Klassenjustiz



Zu der handverlesenen Schar von Gerichtsreportern zu zählen, muss nicht - Pars pro toto - bedeuten, dass jene Protagonisten über besondere, ja sogar herausragende, Fähigkeiten besitzen, mit und durch die sie sich der übrigen Welt mitteilen können. Journalisten sind heutzutage eher billige Huren der, zwischen puren Überlebenskampf und Ausbau des Imperium hin und her gerissenen Medien. Zumeist nur noch als Freelancer tätig werdend, haben sie nur die Aufgabe eine schnelle, alsbald vergängliche Nachricht an interessierte Menschen weiter zu geben.

Der Journalistenberuf ist deshalb längst kein Traum - Job mit Unvergänglichkeitsgarantie mehr.

Das gilt allerdings nicht unbedingt für die Gerichtsreporter. Sie haben - sofern sie in jenem Genre exklusiv herum werkeln dürfen - ein de facto Alleinstellungsmerkmal. Und wenn sie dann noch einem Zirkel zugehören, der für Dickbauchschiffe, wie den " SPIEGEL " aus Hamburg schreiben, dann gilt diese Exklusivität alle Male.

Der längst verstorbene " SPIEGEL " - Journalist Gerhard Mauz, zählte über viele, viele Jahre zu den besten Tätigen seiner Zunft. Seine Artikel waren - vor allem für Juristen - eine Augenweide. Da saß jeder Satz, da war jedes dort enthaltene Wort, ein Juwel im Gesamtgebilde, welches sich in der Tat Reportage nennen durfte. Und dieses, obwohl Gerhard Mauz eben kein Volljurist war, sondern von Haus aus, sich der Psychologie verschrieben hatte, denn er studierte dieses Fach sowie Psychopathologie und Philosophie, die der Juristerei zwar nicht gänzlich unbekannten Fächer, ehe er den Beruf des Journalisten ausübte.

In seine Fußstapfen trat später die in München geborene Gisela Friedrichsen. Eine studierte Germanistin und Geschichtswissenschaftlerin, die danach sich ebenfalls dem Journalismus widmete und hier seit den frühen 1970er Jahren tätig ist. Auch sie schreibt exzellente Gerichtsreportagen, die nicht jene Fachterminologie in den Vordergrund stellt, auf die wir Juristen stets besonderen Wert legen, sondern eher die entscheidenden Charaktere beschreibt, die jeden Prozess ausmachen.

Da las ich in der " SPIEGEL " - Ausgabe 49 / 2015 einen Artikel von Gisela Friedrichsen, in dem sie sich kritisch, jedoch nicht abfällig, über eine Art juristischer Stilblüte auslässt, deren Ursprung  sich  so ungefähr im 18. Jahrhundert wiederfindet. Es ist hier die Rede von dem Verlust jedweden Augenmaßes durch die Justiz; konkret: durch die Strafverfolgungsbehörden und  Gerichte.

Der beschriebene Fall ist so banal, so lapidar, so unspektakulär, dass er es als Meldung eigentlich nicht einmal in eine Mini - Spalte einer Lokalpostille, eines Provinzblattes geschafft hätte. Es ging um einen Diebstahl. Genauer gesagt: um einen Warendiebstahl. Und noch exakter formuliert: Um Diebstahl von geringerwertigen Sachen in einem Kaufhaus.

Am 27. Januar 2015 entnahm die Angeschuldigte folgenden Artikel aus den Gesschäfträumen der Firma Galarie Kaufhof GmbH, Bahnhofstraße 82 - 100, 66111 Saarbrücken:

- 2 x Schokolade, " Ritter Sport ", 100g, zu je 0,99 EUR

- 2 x Pralinen, " Mon Cherie ", 5er - Packung, zu je 1,29 EUR

- 1 x Frischkäse, " Philadelphia Balance ", 193 g, zu 1,69 EUR

und verließ damit die Kassenzone, ohne den Gesamtpreis von 6,29 EUR zu entrichten.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hielt das besondere Interesse an einer Strafverfolgung für vorliegend und beantragte bei dem Amtsgericht Saarbrücken einen Strafbefehl über 90 Tagessätze zu 12 EUR, somit 108 EUR Geldstrafe. Hinzu kamen die Verfahrenskosten von 60 EUR.

Diese Entscheidung wurde rechtskräftig, denn die Angeschuldigte konnte sich keinen Rechtsanwalt leisten, der - sofern entsprechend motiviert - die ganze Chose auseinander genommen hätte. So aber wurde eine 98 Jahre alte Rentnerin wegen einer Bagatelle zu einer überaus harten Strafe verurteilt, denn mit 90 Tagessätzen ist diese Verurteilung im Führungszeugnis aufgeführt; die Frau gilt somit als vorbestraft.

Das Verhalten der Staatsanwaltschaft ist grotesk. Obwohl der Diebstahl geringwertiger Sachen, die nach der herrschenden Meinung bei einer Grenze bis zu 50 EUR noch anzunehmen sind, wobei dieses im Einzelfall kumulativ zu sehen ist, wird in der Regel nicht strafrechtlich verfolgt. Es sei denn, es besteht ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, wie beispielsweise bei Wiederholungstätern. Das Vergehen nach § 248a Strafgesetzbuch führt deshalb häufig zu einer Verfahrenseinstellung, auch wenn ein Strafantrag, der hierfür erforderlich ist, rechtzeitig gestellt wird.

Die Strafjustiz interessiert sich zumeist nicht für jene massenhaft begangene Bagatell - Delinquenz, weil sie anderenfalls hoffnungslos im Aktenmüll versinken würde und die Strafverfahren noch länger dauern könnten. So kann auch eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 a Strafprozessordnung in Betracht kommen, wenn die Umstände zu dem Tatbegehen es zulassen. Dann könnte eine Geldauflage als Sanktionfolge festgelegt werden. Eine - nur zu oft - geringe Summe, die dann zu Gunsten einer gemeinnützigen Einrichtung gezahlt werden soll. Hat der Beschuldigte diese Auflage erfüllt, wird das Strafverfahren gegen ihn endgültig eingestellt.

Die Saarbrücker Volljuristen indes sahen bei der hoch betagten Deliquentin keine solche Möglichkeit, sondern keulten eine absurd hohe Strafe heraus; dieses, obwohl die arme, alte Frau nicht einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Ein Verhalten, dass unter uns Rechtskundig nur heftiges Kopfschütteln hervor rufen muss.

Vielleicht war der hierfür verantwortliche Dezernent an jenem Tag, der zur Beantragung des Strafbefehls führte, mit dem falschen Bein aufgestanden. Aber auch der zuständige Richter ließ jedes Augenmaß vermissen. Das Saarbrücken selbst nicht gerade auf einem Finanzpolster ruht, so, wie das Saarland auch, exorbitant hohe Staatsschulden produziert hat, ist die eine Seite des Falls, die andere ist, dass durch solche völlig überzogenen Urteile / Entscheidungen, zwar Geld in die Kassen gespült wird, doch das Rechtsempfinden auf der Strecke bleibt.

Das sah auch Frau Friedrichsen so und führte noch weitere, völlig indiskutable Beispiel in ihrem Artikel an. Darunter auch jenen, der als " Emmely " - Fall in die Justizanalen einging. Als nämlich einer Kassiererin in Berlin wegen einer unrechtmäßigen Einlösung von Pfandbons in Höhe von 1,30 EUR nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt wurde.

All jene Fälle zeigen, dass die Kritik an der Dritten Gewalt auch im 3. Jahrtausend n. Chr. nicht verstummen darf, weil es sich hier um Klassenjustiz handelt, denn hinter diesen Entscheidungen stehen wirtschaftliche Interessen und die ausufernde Macht der Moneten; selbst wenn, die Arbeitsrechtsfälle und jene Strafverfahren nicht unbedingt als deckungsgleich zu sehen sind, so steht dennoch in dem Vordergrund, dass " die Kleinen gehängt " und " die Großen laufen gelassen werden ".

Frau Friedrichsen sieht in solchen Verfahren Beteiligte herum werkeln, denen sie " kleinen Verstand " attestiert, so, wie es einst der Schriftsteller mit einer bissigen Bemerkung fest hielt: " Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand. "








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