" unternormalnull " schreibt nicht mehr.



Der tägliche Nachrichten - Schwall erschwert es dem Bewohner eines hoch entwickelten  Landes, einer öffentlichen Gesellschaft, zunehmend das Wichtige von dem Unwichtigen zu unterscheiden. So geraten Informationen das eine oder andere Mal schnell in die Ablage oder Zwischenablage und damit in Vergessenheit.

Beim Lesen, Hören und Sehen einiger Informationsmedien läuft der " Normalo " ständig Gefahr, von der Unmenge an Informationen überfrachtete zu werden.
So dachte ich mir vor einigen Wochen nicht viel, als ich beim Lesen diverser Blogs, denen ich als Interessent beigetreten bin, dass einige Beiträge jener Blog - Betreiber doch schon recht alt waren. Nö, nicht jeder Mitteilungsfähige muss sich ständig zu irgendeinem Thema öffentlich äußern. Muss nicht, kann und darf er aber.

Als ich dann vor einigen Tagen einen Eintrag des Blogger - Kollegen aus unserer Stadt aufrief, wurde ich stutzig. Wie, jetzt? Wieso schreibt der Blogger dieses? Warum, " für "?


für Til_o.

Octapolis um Channel 666 - vor 2 Tagen
*Wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.* (Hermann Hesse) Til_o. & Octapolis »Attack« (2012)  


Mein Bauchgefühl sagte mir, da stimmt irgendetwas nicht. Das liest sich so, als sei der Blogger " til_o. " nicht mehr unter uns.
" til_o. " hat meinen Blog einige Jahre lang als Leser mit begleitet. Er hat so manchen, sehr kritischen und fundierten Kommentar zu meinen " Ergüssen " eingestellt. Hat mir - gnadenlos - widersprochen, wenn meine, in einem Posting eingestellte Auffassung auch eine andere Sichtweise zuließ; hat mir die eigenen Erfahrungen aus seinem Leben mitgeteilt und viele Dinge richtig gerückt, wenn ich, in meinem Drang, das typisch Deutsche aus der Geschichte der beiden deutschen Staaten, mit einander vergleichen zu wollen, neben der Spur lag.

Manchmal hat mich sein Kommentar ein wenig geärgert, oft auch wach gerüttelt und dabei motiviert, es noch besser schreiben zu müssen.

Ich selbst bin seinem Blog " unternormalnull " alsbald auch beigetreten. Er hat hierin einige skurrile, wiederum ironische und ab und an aus dem Tagesablauf entstandene Postings veröffentlicht.
Sein letzter Eintrag datiert vom Freitag, den 24. Januar 2014 und handelt von einem Panzer, genauer gesagt, einen aus Pappmaché´. Der erste einlesbare Post ist von " til_o. " am 2. März 2010, also vor 4 Jahren erstellt worden. Er ist von " til_o. " " Puzzlemusik " benannt worden und liest sich so:

DIENSTAG, 2. MÄRZ 2010


Puzzlemusik

Der Boden schwankt unter meinen Füßen, aber er gibt mir dennoch den Halt, den ich so sehr brauche. Die Luft riecht nach sich flußabwärts zurückziehendem Brackwasser. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier bin.

Meine Kopfgeburt steht mir gegenüber. Ihre Augen glitzern mich über meiner Augenhöhe an und sie schaut dennoch zu mir auf. Meine linke Hand umkrampft den Waffenschein, den ich für sie brauche.

Ihr flüchtiger, wie aus Versehen mir gegebener Kuß, war von ihr lange geplant und er trifft mich so, daß meine Gefühle in dem Fluß, auf dem wir stehen, Delphin spielen. Sie wendet sich von mir ab, um mich an die Hand zu nehmen. Wir müssen schon unser ganzes Leben über diesem Holzweg schreiten, der sich über diese Wasseroberfläche schlängelt. Hoch und runter. Es ist kein Ende und kein Anfang zu sehen, und das, für mich, nähere Flußufer ist für einen Absprung zu weit entfernt.
Wir schlendern durch meine alte Stadt. Sie sieht jetzt anders aus. Sicherer.

Ihre Hand legt sie nur auf die meine, wenn ein Richtungswechsel von ihr geplant und durchgeführt wird, oder er einfach ansteht. Sonst kann sie alleine laufen. Ich drücke meine Knie durch, folge ihr und sie mir.

Ich kenne sie nicht, aber sie gehört zu mir.

Die alte verwitterte Betonbrücke, die wir unterwandern, erinnert mich an das Lehrerzimmer meiner Kindheit, totgeschriebenen Büchern und, heute, nach Geld stöhnenden Worthülsen, die mich verfolgen. Mein Traum dreht sich lächelnd zu mir um, nimmt meine Hand, der Beton bröckelt, aber die Brücke steht noch. Soll sie ohne uns einbrechen. Oder weiterbestehen.

Der Himmel ist mit Wolken verhangen, aber er ist nicht grau. Ein warmer Goldherbst schaut gefällig auf uns herab. Ein alter Meister hat ihn gemalt. Schwergewichtig, imposant, aber nicht bedrohlich. Des Verklärers Name fällt mir nicht ein. Es gab zuviele davon … Die Vögel, auf ihren Höhenflug, sind kaum noch zu erkennen. Wir schauen uns an und wissen, daß ihre Fallhöhe nicht bis in unsere Wolken reicht. Sie werden später metertief, im kulanten Klärschlamm, neben den Schiffen, einschlagen und enden. Ohne uns.

Die Schiffe, am anderen Flußufer, weiten sich über diese Stadt hinaus und überragen leichtgläubig unseren Horizont. Es sind zwei, die dort vor Anker gegangen sind oder verankert wurden. Sie ähneln großen runden Schwänen, die aus rotem und blauem Styropor geschnitzt wurden. Einfach und funktional sind sie, wie Träume eben sein sollten.

Meine Stadt scheint ein Fest zu feiern. Grünbuntblumige Lampions schwimmen den Fluß hinunter und es sind keine Menschen zu sehen. Als lebende Gespenster dienen Schaufensterpuppen. Als Ersatz des Ersatzes.

Sie dreht sich zu mir um und lächelt mich ungeschminkt an. Ich weiß, daß sie unersetzbar für mich ist. Sie nimmt meine Hand und schlägt eine Tür für uns auf. Sie führt in ein Zimmer, wo Heimatlose, auf ihrer Reise ins Irgendwo, gern Station machen um ihren Krempel loszuwerden. An die Wand gepinnte Enttäuschungen, zu Fußbänken gedemütigte Gefühle und verrottete Wünsche umspülen mich. Sie scheint sich hier gut auszukennen. Aber sie trägt keine eintätowierte Inventarnummer, so wie ich, am linken Unterarm.

Sie weiß genau, wo sie suchen muß. In diesem gut sortierten Müllbergregal hat sie ihren Schatz versteckt: Ein Karton mit einem mir unbekannten Puzzlespiel. Als Bildvorlage dient ein alter Topf mit einem passenden neuen Deckel in leichten hellbunten Farben. Aber sie spielt nicht, sondern stöpselt einen kleinen Kopfhörer in den Karton und hält ihn mir an das falsche Ohr. An jenes, auf dem mich nichts, und niemand, mehr erreicht.

»Das ist meine Musik. Kannst du mich hören?«

Ich kann sie sogar verstehen. Sommerwiesenmusik, die meine ungeliebte Tätowierung verblassen läßt. Wir schweigen und reden gleichzeitig miteinander. Sprache ist nicht wichtig. Blicke reichen. Und ihr Geruch …

Unser Bett fühlt sich wie handgewebt, uneben aber ausgeglichen an. Mein, nein unser Zuhause. Ich bin mit und bei ihr, bei mir angekommen.

Vorbei. Wie immer. Abschiedsschmerz steht in ihren und in meinen Augen. Sie löst sich, wie eine erkaltende Fata-Morgana ungewollt auf. Träume enden so.

Guten Morgen! Aufgewacht! Was war das für eine beschissene Nacht …

Wer zulange in seine Träume schaut, wird blind, heißt es. Aber es ist besser blind zu werden, als einen faulen Kompromiss einzugehen.

Der Himmel in meinem Fenster ist kalt, grau und in sich zerrissen.
Ich weiß, daß dieser kommende Tag kein guter Tag zum Sterben ist, aber auch, daß er kein guter Tag in meinem Leben wird.

Dazwischen waren auch sachlich - nüchterne Beitrage zum und über das Kochen, die Kochkunst.

http://unternormalnull.blogspot.de/

Ich habe sie nach und nach gelesen - alle! Jedoch sind die Erinnerungen an ihre Inhalte längst verblasst.
" til_o. " ist vor einigen Tagen von dieser Welt  gegangen - für immer!
Wir haben uns nie persönlich kennen gelernt. Doch irgendwie gehörte er zu dem, was Tagesgeschehen heißt, ohne Routine zu sein.

Wie schrieb er in seinem ersten Posting richtig?

" Wer zulange in seine Träume schaut, wird blind, heißt es. Aber es ist besser blind zu werden, als einen faulen Kompromiss einzugehen. "

"til_o. " hat uns nichts mehr zu sagen, zu schreiben. Sein Blog " unternormalnull " indes wird bleiben.
Farewell mit Frank Sinatra und " My Way ":



And now the end is near
And so I face the final curtain
My friend, I'll say it clear
I'll state my case of which I'm certain
I've lived a life that's full
I've travelled each and every highway
and more, much more than this
I did it my way
Regrets I've had a few
But then again too few to mention
I did what I had to do
And saw it through without exemption
I plannend each chartered course
Each careful step along the by-way
And more, much more than this
I did it my way
Yes, there were times
I'm sure you knew
When I bit off more than I could chew
But through it all when there was doubt
I ate it up and spit it out
I faced it all
And I stood tall
And did it my way
I've loved, I've laughed, and cried
I've had my fill, my share of losing
And now, as tears subside
I find it all so amusing
To think I did all that
And may I say, not in a shy way
"Oh no, oh no, not me
I did it my way"
For what is a man, what has he got?
If not himself then he has naught
To say the things he truly feels
And not the words of one who kneels
The record shows I took the blows
And did it my way
Yes, it was my way

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
es ist wirklich traurig. er war einer von den guten und ein lieber freund.

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