Warum es am 24. Dezember keine Gerichtstermine gibt. Eine weitere Vorweihnachtsgeschichte von Advocatus Diaboli. Niedergeschrieben von selbst.



Der Beruf des Advokaten ist längst zu einer austauschbaren Erwerbstätigkeit geworden. Das liegt zum einen an den Massen, die sich in der Juristerei an den Universitäten versuchen, zum anderen an den eher wenigen Stellen, die für den dann doch geringen Prozentsatz von Volljuristen zur Verfügung stehen. So muss die Mehrzahl der Inhaber beider Staatsexamina, nolens volens, in die Anwaltstätigkeit eintauchen und hier entweder mit einer schlecht bezahlten Stelle in irgendeiner Großkanzlei die Brötchen verdienen oder das Abenteuer der Selbständigkeit wagen.

Dem Advocatus Diaboli ( Kürzel immer noch A. D. ) erging es vor mehr als einem Vierteljahrhundert auch so. Er tauchte in die rauhe Welt des Freiberuflers ein. Wobei Freiberufler - damals zumindest - nicht der richtige Ausdruck für diese Tätigkeit war. Wer sich zur Anwaltschaft zulassen wollte, der musste eine Vielzahl von Vorschriften einhalten. Es herrschte eine Gängelei im Umgang mit den Institutionen, insbesondere den Gerichten. Gleiches galt für das Miteinander im kollegialem Umfeld. Die Kollegialität hörte dort auf, wo das finanzielle Interesse begann.Deshalb wurde jedes Jahr, ja, Jahr für Jahr ein großes Hauen und Stechen um die Fleischtöpfe, die da - zahlungswillige und noch besser: zahlungskräftige - Mandanten heißen, veranstaltet.

Nebenbei begann am dem 2. Januar des Neuen Jahres eine wahre Hexenjagd, um Kolleginnen und Kollegen aufzuspüren, die - auch nur ansatzweise -  gegen die Standesrichtlinien verstoßen haben könnten. Besonders reizend war deshalb der Vormittag, der mit einem Brief der Rechtsanwaltskammer in der sonstigen Kanzleipost begann. Mit viel Pathos wurde darin ausformuliert, was dem werten Herrn Kollegen von einem anderen, werten Herrn Kollegen oder noch schlimmer: vom eigenen, sehr oft, ehemaligen Mandaten zum Vorwurf gemacht werden sollte.

Die oft durch schon übliche Textbausteine an den " Herrn Rechtsanwalt XYZ " mit " Persönlich " und ganz geheim " Vertraulich " abgeschossenen Giftpfeile gelangten zumeist in die übliche, dann vorgelegte Geschäftspost und wurden zusammen mit dem dortigen Schriftverkehr bearbeitet. Also nix mit " Persönlich! Vertraulich! ", Frau S. - G. als Geschäftsführerin der Kammer, die sehr oft aber erst gar nicht zuständig war.
Dennoch bat sie dreist, in dem verquasteten Juristendeutsch:
 
" Bitte ich Sie um Stellungnahme bis zum.... " und log am Schluss des Schreibens, dass wie hundert andere Briefe pro Jahr in dem gleichen Sermon versandt wurde, dem A. D: vor: " Mit freundlichen kollegialen
Grüssen ".

Besonders ärgerlich waren diese Briefe nur deshalb, weil sie zusätzliche Arbeit verursachten und sinnloses Hirnschmalz verbraten werden musste, um den - zumeist substanzlosen Vorwurf - einer Pflichtverletzung, eines Verstoßes gegen die anwaltliche Berufsausübung oder - besonders dick aufgetragen - gegen ein Strafgesetz. Der Kreativität waren ( und sind wohl auch noch ) keine Grenzen gesetzt. Ein besonderes Tummelfeld von Querulanten aller Art stellt das Gebührenrecht dar. Wenn es um klingende Münze ging, besonders um Zahlungsansprüche sowie Kostenrechnungen des tätig gewordenen Advokaten, flogen oft die Fetzen. Wer wollte schon für das dann nicht bekommenes Recht auch noch viel Knete bezahlen? Niemand! Im Konsum geilen Deutschland ist dieses vergleichbar mit dem Kauf einer teuren Packung Markenparfüm, in deren Mini - Flacon sich Wasser befindet, dass beim Auftragen dann, statt des edlen Duftes, einen Uringeruch verbreitet. So kommt es denn zu dem Irrglauben, ein Anwalt ist nach Erfolg zu bezahlen. Wo kein Ius, da kein Schuss! Weshalb der werte Mandant sehr oft auf die irrige Idee kommt, die Gebührenrechnung des beauftragten Anwalts als zu hoch zu bewerten,zudem als nicht gerechtfertigt, weil der erhoffte Erfolg ausblieb, oder in den krassen Fällen mit eigenen Forderungen, wie Schadenersatz wegen einer angeblichen Schlechterfüllung des Geschäftsbesorgungs - bzw. Anwaltvertrags aufrechnen will..
Es nervte schon damals und so wird es immer noch sein.

Das hektische Treiben des Kontrollorgans der zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in einem, von vielen ähnlichen Fällen, bei dem es um vorgeworfene Straftaten ging, war indes wesentlich intensiver. Ein werter Herr Kollege sollte von mehreren Mandanten über einen längeren Zeitraum von Schuldnern einkassierte Fremdgelder veruntreut haben. Einen anderem wurde vorgeworfen, die Vermögensverwaltung einer hoch betagten und sehr wohl habenden Klientin dazu benutzt zu haben, um sich selbst zu bereichern, indem er angebliche Grundstücksschenkungen über einen, in einer gemeinsamen Kanzlei tätigen Notarskollegen beurkunden ließ, obwohl diese " Schenkungen " von der alten Dame nie gewollt waren. Und einen anderer tätigen Rechtsanwalt erwischte es gleich mehrfach, als er zunächst vor dem Betreten seines Büros von der Kriminalpolizei verhaftet, seine Kanzleiräume im Anschluss daran durchsucht und ein wertvolles Gemälde angeblich aus dem legendären Bernsteinzimmer stammend, dort beschlagnahmt werden konnte und er deshalb eine hohe Geldstrafe wegen Unterschlagung erhielt sowie ein zeitlich begrenztes Berufsverbot durch Entzug seiner Zulassung erhielt.

In dieser Weise hatte die Rechtsanwaltskammer jährlich mehrere hundert Beschwerden und eine Vielzahl von Verfahren wegen behaupteter Verletzungen zu bearbeiten. Nein, es war keine angenehme Aufgabe, gegen werte Damen und Herren Kollegen vorzugehen, die nicht im Sinne der vielen Berufspflichten tätig waren. Das Haifischbecken mit den mehr als 1.000 Kolleginnen und Kollegen, die versuchten ihre Brötchen zu verdienen, bot damals ein gut bestelltes Betätigungsfeld, um persönlichen Frust und vermeintliche Macht zu entfalten, die  gegenüber dem Kollegen ausgespielt werden soll. 

Nur wenige Tage vor Weihnachten wurde es aber um die Rechtsanwaltskammer seltsam ruhig. Ja, sogar lautlos, denn es kamen keine Briefe mit irgendwelchen Fachbuchtipps, uninteressanten Veranstaltungshinweisen, für die A.D. dann viel Geld ausgeben sollte, weil der Bundesgerichtshof in zuvor getroffenen, ungezählten Entscheidungen, dem Rechtsanwalt eine permanente Fortbildungspflicht oktroyiert, oder - die Krönung des Ganzen - eine Beschwerde, zu der Stellung genommen werden muss. Nein, die Ordnungspolizei der " freien " Anwaltschaft zeigte sich vor den Feiertagen betont untätig. Auch sie war auf Festtagslaune getrimmt. Es unterblieben auch irgendwelche Anrufe, weil vielleicht aufgebrachte Ex - Mandanten direkt bei der Kammer in der Geschäftsstelle erschienen, um sich lauthals über den " Winkeladvokaten ", den " Gauner ", den " Gebührenschneider ", den " miesen Lumpen " oder in ähnlichen Bezeichnungen, zu beschweren. Was wiederum dazu führt, dass die Geschäftsführerin persönlich, dienstlich, zum Telefonhörer greifen muss, damit der herum zeternde Ex - Klient endlich Ruhe gibt. Mit hoch wichtiger Miene erscheint sie dann in dem Vorzimmer und versucht den immer noch zeternden Petenten abzuwimmeln. Wortreich versucht sie zu erläutern, warum der arme Rechtssuchende dafür auch zu bezahlen hat.
Kein immer leichter Job, aber dafür mit einer hohen Reputation und sicheren Einnahmen.

Der A.D. hatte sich kurz vor dem Ende des Jahrzehnts von seinem einstigen Studienkollegen, mit dem er versuchte eine Kanzlei zu betreiben, getrennt. Er hatte sich hierzu eigene Büroräume gemietet. In einem etwas bürgerlicheren Stadtteil. Hier gab es nicht jene sozialen Problemfälle, wie Drogensüchtige, Kleinkriminelle und auch nicht so viele Ausländer. Dieser Stadtteil war geprägt von vorwiegend Ein - oder Zweifamilienhäusern, durch mischt mit kleineren Gewerbebetrieben. Hier ging es etwas beschaulicher zu. Doch das Klientel des A.D. war dadurch keineswegs völlig andersartig. A.D. bearbeitete viele Fälle mit ausländerrechtlichen Hintergrund.
Diese Mandate brachten zwar nicht viel Geld ein, dafür kamen sie in schöner Regelmäßigkeit. Die gezahlten monatlichen Vorschüsse von 50 DM waren so sicher, wie das Amen in der Kirche. Der wesentliche Vorteil solcher Fälle war darin zu sehen, dass die Klienten sich nicht bei der Anwaltskammer beschwerten, wenn das asyl - oder ausländerrechtliche Verfahren zu Ungunsten des Mandanten ausging.

Aber auch hier bestätigten Ausnahmen die Regel.

Es ist ein naß - kalter Dezembermorgen in den frühen 1990er; vom Winter weit und breit keine Spur. Schmuddelwetter eben, so wie es an vielen anderen Tagen in der Stadt am Wasser vorherrscht. A.D. verlässt sein Büro kurz nach 9.00 Uhr und geht zur Straßenbahnhaltestelle, die knapp 300 Meter entfernt liegt. So wartet er einige Minuten, bis aus der gegenüber liegenden Straßenkreuzung eine ocker - gelbe Straßenbahn, ein Zug, der seine besten Jahre längst hinter sich hat, im Sichtfeld erscheint. Er hat seit einiger Zeit eine Monatskarte im Abonnement bestellt. Das ist zum einen billiger, zum anderen bequemer. Und deshalb löst A.D. keine Einzelfahrkarte an dem neben der Haltestelle stehenden Automaten oder später bei dem Zugführer ein.

Rumpelnd, quietschend und scheppernd hält der Straßenbahnzug an dem Haltepunkt. Zischend öffnen sich die Türen. A.D. steigt in der Mitte des Zuges ein und wuchtet den Pilotenkoffer, in dem er einige Akten hinein gelegt hat, neben sich auf die Uralt - Sitze. Der Zug ist allenfalls halb besetzt. Deshalb kann A.D. den Koffer auf dem Sitz am Fenster stellen. Knarrend und ratternd fährt die Chaise los. Bis zur nächsten Haltestelle dauert es nur 1, 5 Minuten. Die Bahn bremst wieder ab und es steigen einige Personen aus; andere kommen hinzu. Dieses Prozedere wiederholt sich bis zur Zielhaltestelle an der Hauptpost, den Gerichten und dem Beginn des Innenstadtkerns noch 9 Mal.

Die Stadtmitte, die " City ", wie es seit vielen Jahren neudeutsch heisst, hat längst ihren Weihnachtsschmuck angelegt, der Weihnachtsmarkt wird in wenigen Stunden beendet sein; die Stände abgebaut und der Duft von gebrannten Mandeln, Anis und Bratwürstchen nicht mehr herüber wabern. A.D. wuchtet seinen Aktenkoffer von dem anderen Sitz und verlässt die Straßenbahn, die noch weitere 17 Stationen anfahren muss.
Er geht zunächst in das gegenüber liegende Landgerichtsgebäude und begibt sich in die 2. Etage. Dort, wo an den großen Fluren die Zimmer mit den 2er - Nummern liegen. An der Tür eines dieser Räume, das sich Geschäftsstelle der 4. Strafkammer nennt, klopft er kurz an. Drückte die Klinke der Tür herunter als beinahe Zeit gleich ein " Ja " draußen zu vernehmen ist und betritt den Raum. " Moin! Rechtsanwalt A.D. ! Ich möchte eine Akte abgeben!", sagt A.D. und begibt sich zu den großen Schreibtischen, die voller Papier, Akten und ungeöffneter Briefpost sind. " Ja, danke! Legen Sie sie bitte dort hin!", sagt die nicht mehr ganz junge Geschäftsstellenmitarbeitern zu A.D.

" Na, denn: Frohe Weihnachten! ", entfleucht es A.D. " Ja, danke! Ihnen auch ein Frohes Fest! ", retourniert die rechte Dame und die linksseitig, dieser gegenüber Sitzenden entkommt ein: " Danke, gleichfalls!"
A.D. verlässt den Raum. Er überlegt kurz, ob er den gläsernen Übergang zum Amtsgerichtsgebäude nutzen soll, der jedoch noch einige Meter hinter dem 2er - Raum liegt. Nö, zu weit. A.D. entschließt sich also die Steintreppen mit dem wunderbaren Holz - und Metallgeländer herunter zu gehen. Zügig, denn A.D. ist ja ein junger, tatkräftiger Rechtsverdreher.

A.D. verlässt das Sandsteingebäude, das da Landgericht heisst und geht einige Schritte zu dem Eingang des schräg gegenüber liegenden Amtsgerichts. Hier soll er um 9.30 Uhr einen Verhandlungstermin in einer Zivilsache wahr nehmen. A.D. ist bereits 5 Jahre im Geschäft. Er weiß deshalb, dass die Richter einen Tag vor Heilig Abend auf Friede, Freude, Eierkuchen gestimmt sind. Ergo: Der Zivilrichter R.., ein Mann, der die 50 locker überschritten hat, wird auf Milde eingestimmt sein, denn morgen ist schließlich Heilig Abend.
Der Amtsrichter wird deshalb einen Vergleich vorschlagen, mit dem beide Parteien leben könnten. Die Klägerseite wird einige Abstriche von ihrer Forderung machen müssen, die Beklagten werden zahlen, aber eben nicht alles.

A.D. betritt die erste Etage des Amtsgerichts. Hier liegen die Räume in denen die Zivilrechtsverfahren abgehandelt werden. Tatsächlich sieht A.D. noch zwei weitere Männer auf dem Flur, schräg neben der Eingangstür zu dem Verhandlungsraum 123 stehen. Es scheint der Kläger und der ihn vertretene Kollege zu sein. Irgendein Rechtsanwalt aus einer der vielen Großkanzleien, die sich in der Stadtmitte befinden. Beide sind in einem intensiven Gespräch verwickelt und bemerken A.D. nicht. Oder eher wahrscheinlich ist, dass der mit leichter Überheblichkeit sich positionierende Kollege von der Großkanzlei, den A.D. nicht sehen möchte. Dieses Verhalten ist üblich, wenn ein Einzelkämpfer, wie A.D. es nun einmal ist, auf einen Vertreter aus einer renommierten Kanzlei trifft. A.D. ist´s egal, er setzt sich auf einen der Stühle vor der Fensterfront, öffnet seinen Pilotenkoffer und nimmt die aktuelle Ausgabe des Hamburger Nachrichtenmagazins heraus. A.D. beginnt hierin zu lesen.

Gegen 9.40 Uhr öffnet sich die Tür zum Sitzungssaal 123. Zwei, vom Gesicht her, dem A.D. bekannte Rechtsanwälte verlassen scherzend und feixend das Zimmer. " Na, denn: Frohes Fest Herr Kollege! ", gibt der etwas größere, im dunklen Anzug heraus schreitende Anwalt von sich. " Ja, Ihnen auch Herr ...!" Frohes Fest!" antwortet der anderen, pummelige Advokat etwas holprig. Dann entschwinden beide Männer in verschiedenen Richtungen.
Plötzlich knackt es im Lautsprecher und eine weibliche Stimme quäkt los: " In der Sache X gegen Y., die Beteiligten bitte in Saal 123 eintreten!"
Die beiden am Rand des Flures stehenden Männer unterbrachen ihr Gespräch und eilten zu der Eingangstür des Gerichtssaales.
Auch A.D. erhebt sich und legte seine Lektüre in den Kunstlederkoffer, ehe er zu der Tür schreitet. Die jedoch sofort, nachdem der werte Herr Kollege den Raum betreten hat, zu gezogen wurde.

A.D. steht also - wenn auch nur für wenige Sekunden - sinnbildlich vor einer verschlossen Tür, die er dann jedoch wieder öffnet und den Raum betritt. A.D. geht dann wort - und grußlos, dafür zielstrebig, auf den rechten Tisch zu, der für die Beklagtenseite vorgesehen ist und setzte sich auf den rechts daneben stehenden Stuhl. Die Stühle in dem Amtsgericht sehen gleich aus. Sie sind aus schwarz lackiertem Vierkant - Stahl mit einem Leder artigen Sitzbezug und demnach unbequem. Nur die Sitzgelegenheiten für das Hohe Gericht sind üppiger ausgestattet. Sie besitzen eine bequeme Polsterung. Dafür sehen die Dienstzimmer der Richter eher wie Schuhkartons aus. Da keiner der jetzt  im Raum sitzenden Männer und auch die Protollführerin nicht, den anderen gegrüsst hat, geht es sofort zur Sache.


Richter R. schaut demonstrativ zu der Protokollführerin herüber und brabbelt: " In der Sache X gegen Y erschienen nach Aufruf: Der Kläger persönlich mit Herrn Rechtsanwalt Z. Für die Beklagten Herr Rechtsanwalt A.D. "
Es folgte: " Die Sach - und Rechtslage wurde erörtert. "
Dann ging Richter R. ans Eingemachte. " Herr XYZ. Sie fordern hier ja einen Betrag aus Nebenkostenabrechnungen von 1988, 1989, 1990. Ja? "
" Ja. ", antwortete der Kläger persönlich.
" Ja. ", äffte der unkollegiale Kollege, der Türzumacher, nach.
" Also, meine Herren - darüber sind wir uns ja wohl einig? Die Nebenkostenforderung 1988 von 412,34 DM dürfte verwirkt sein, weil Sie ja nicht innerhalb der Frist bis zur Erstellung einer neuen Abrechnung bei den Beklagten geltend gemacht worden sind. Also, das hat die Beklagtenseite ja auch so vorgetragen. Dafür habe ich Ihnen auch PKH gewährt, nicht wahr, Herr A.D.?
" Das ist richtig! ", antwortete A.D. in einem leicht schneidig Ton.
" So, dann wären da noch 1989. Da fordern Sie ja 512,34 DM, Herr XYZ. "
" Ja, so ist es! ", gab der Rechtsanwalt des Klägers vorlaut zur Antwort.
" Hmmmh! Ich sehe da einige Probleme. Weil einige Positionen in dem Mietvertrag und dessen Anlage über die zu entrichtenden Betriebskosten nicht aufgeführt sind. Ich habe da einen Betrag von 100,89 errechnet. Diese dürften strittig sein. Demnach könnten Sie allenfalls 411,45 DM zu Recht fordern. Nicht wahr? "

Jetzt legt sich der Klägeranwalt ins Zeug. Er behauptet, dass die Nebenkostenaufstellung der Beklagtenpartei mehrfach zugesandt worden sei und diese über die veränderten Positionen in Kenntnis gesetzt worden wäre.
" Wieso? ", fragte A.D. nach
" Weil Ihre Mandanten aber nicht gezahlt haben, klagen wir hier ja!", keift der Advokat zurück.
" Na, und ! Unterschrieben haben sie die neue Nebenkostenauftstellung aber auch nicht. Weshalb es dann auch nicht als vereinbart gilt, Herr Kollege. "
Mit Zornesröte giftete der Klägeranwalt zurück: " Muss aber auch nicht. "
" Doch! Sie muss als geänderter Vertragsinhalt ausdrücklich von den Parteien unterzeichnet werden, Herr Kollege. ", sagte A.D.

" Nun gut. Kürzen wir das hier ab, meine Herren! ", meldete sich Richter R. zu Wort.
" Die Nebenkosten für 1990 in Höhe von 405,67 DM sind nach meinen Berechnungen um 85,57 DM übersetzt. Weil eben jene benannten Postionen nicht vereinbart wurden. Ich mache deshalb den Vorschlag, Sie vergleichen sich hier. Die Sache schreit ja förmlich nach einem Vergleich. "
Der zuvor noch giftige Kollege schweigt. A.D. schweigt auch.

" Ihre Partei, Herr Rechtsanwalt A.D., zahlt noch 700 DM an den Kläger und damit wären alle wechselseitigen Forderungen erledigt. "
" Kosten? ", dröhnte der Klägeranwalt sofort.
" Ja, die Kosten! Also: 6/10 die Beklagten, 4/10 der Kläger. ", antwortete der Richter R.
" Ich müsste das mal kurz mit Herrn... " besprechen. Ja?"
" Natürlich! ", antwortete Richter R.
Die beiden Männern standen auf und verließen den Raum.
Draußen unterhielten sie sich wohl sehr lautstark, denn es war im Gerichtssaal noch eine deutliches Gebrummel zu hören.
A.D. sah noch kurz in die Akte, dann zum Richter hoch. " Sie gehen nach Stralsund im nächsten Jahr? ", wollte A.D. mit geheucheltem Interesse von Richter R. wissen.
" Ja, ich soll dort beim Amtsgericht ein wenig aushelfen. Beim Aufbau, wissen Sie. "
" Ja, ich habe davon gehört. ", antwortete A.D. Im Hinterstübchen dachte er natürlich, dass R. das doppelte an Bezügen kassiert. Als so genannte " Buschzulage . Der alte Sack. Jetzt noch mal ordentlich abkassieren. "
Dann öffnete sich die Tür. Die beiden Männer eilen zurück an ihren zugeordneten Platz.
" Ja, wir nehmen den Vergleich an. ", kam es aus dem Munde des Kollegen aus der Anwaltsfabrik.
Richter R. gab sich betont gelassen. Er hatte aber zuvor den Kollegen aus der Großkanzlei erwartungsvoll angesehen.
" Gut! Dann nehmen wir mal für´s Protokoll auf, Frau S. ", sagte Richter R. und legte los:
" Nach Erörterung der Sach - und Rechtslage und auf eindringliches Anraten des Gerichts schließen die Parteien folgenden Vergleich:
1. Die Beklagten zahlen an den Kläger zur Abgeltung der Forderungen aus den Nebenkostenabrechnung 1988, 1989 und 1990 einen Betrag von 700 DM.
2. Damit sind sämtliche wechselseitigen Forderungen aus dem Mietverhältnis der Partein abgegolten.
3. Die Parteien verzichten wechselseitig auf die Geltendmachung weiterer Forderungen aus dem beendeten Mietverhältnis und nehmen den Verzicht wechselseitig an.
4. Den Beklagten bleibt nachgelassen, den Vergleich bis zum... zu widerrufen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten 6/10; der Kläger 4/10.

" Bitte, lesen Sie noch einmal vor, Frau S.", bat Richter R. die Protokollführerin.
Diese ratterte den Text herunter.
" So richtig? ", wollte der Richter von den Rechtsanwälten noch wissen.
Es folgt von beiden Seiten ein " Ja. ".
Dann fragte A. D. noch kurz nach:
" Sie haben uns PKH gewährt. Gilt das auch für den Vergleich? "
" Ach, so. "
" Gut, nehmen wir noch auf, Frau S.: Beschlossen und verkündet: Den Beklagten wird Prozesskostenhilfe gewährt, soweit Sie sich gegen eine Forderung von 412,34 DM wehren sowie auch für den Vergleich. Es wird Ihnen Rechtsanwalt A.D. beigeordnet. "
" Lesen Sie doch bitte noch mal vor!", bat Richter R. die Protokollführerin.
Wieder orgelt diese den Text herunter.
" Ja, danke, das war´s! ", sagte Richter R. noch. Dann stand er von seinem Sitz auf und zog die Robe aus.
" Na, die nächste Verhandlung fällt aus. Die Parteien haben sich so geeinigt. "
" Es ist ja kurz vor Weihnachten ", dachte A.D. " und alle Menschen werden Brüder? "
Jetzt entkam dem sonst eher spröden, den biederen Richter R. doch tatsächlich ein:
" Ja, Ihnen ein Frohes Fest!"; dann fügte er hinzu: " Wir sehen uns ja nicht mehr!"

Während R. aus der anderen Eingangstür entschwindet, verlassen die übrigen Anwesenden den Saal durch die dahinter liegende Tür. A.D. ist dieses Mal schneller und steht bereits an der Tür, so dass der arrogante Kollege diese ihm nicht mehr zu ziehen kann. Ätsch!. Der Kläger zetert dann noch mit dem Anwalt herum. A.D. hört nur einige Wortfetzen, wie " Nicht gut !" und " Hätten Sie sagen müssen ", dann verlässt er den Flur und das Gerichtsgebäude.
Der 23. 12. war bislang kein guter Tag. Die lumpigen Gebühren für den riesigen Arbeitsaufwand, dann die dicken Akten, die kopiert werden und zurück zum Landgericht gebracht werden mussten und dann das dämliche Weihnachtsfest bei den angeheirateten Verwandten. Eigentlich hatte A.D. dazu keine Lust.

Er stiegt in die nächste Straßenbahn und fährt in sein Büro zurück. Es ist mittlerweile kurz vor 11. 00 Uhr.
Rein intuitiv verlässt A.D. die rumpelnde Straßenbahn eine Haltestelle vorher. Er steigt also aus und schlendert zu dem Supermarkt mit dem Namen " Minimal " und zieht einen Einkaufswagen aus dem Unterstand. In dem Markt herrscht bereits reger Betrieb. Viele ältere Leute kaufen bereits für Heilig Abend und Weihnachten ein. Die Wagen werden entsprechend voll gepackt. A.D. schiebt sich durch die Regale. An einem CD - Ständer bleibt er stehen und durchstöbert die Plastikverpackungen. " Weihnachtslieder? " Nein, danach war A. D. nicht zumute. Lieber etwas fetziges, rockiges. " Best of Number One ", liest er auf einer Plastikhülle. " Ja, hört sich gut an. Nehme ich mit!", sagt er zu sich und lädt noch einige Lebensmittel in den Metallwagen. Ein Packung Spekulatius, einen Orangensaft, eine Flasche Sekt, eine Tafel Schokolade, eine Packung geschnittenes Brot usw.
A. D. stellt sich an der Kasse an.
Er zahlt - wie immer - in bar.

Mit seinem jetzt wieder voll gepackten Pilotenkoffer begibt er sich zu seinem Büro. Nach einigen Minuten öffnet er die Eingangstür. Dann tritt er in den Flur, von wo es in Richtung Treppenhaus und von dort aus zu den Räumen des Vermieter geht. Er drückt die Türklinke zu dem Vorzimmer herunter. Plötzlich sitzen da auf den dunkel - blauen Stühlen viele Menschen. Woher kommen sie? Er hat nicht in Erinnerung, dass er irgendwelche Besprechungstermine vereinbart hätte.  Trotzdem ist das Vorzimmer voll mit Menschen. Einige Kinder sogar. Woher kommen sie?

Die Auszubildende klärt ihn, nach dem A.D. seinen Koffer in sein Arbeitszimmer gewuchtet hat, auf. " Das sind Mandanten für Dich. Die Familie Pr. aus Bosnien wegen einem Asylantrag!", sagte die Azubine zu A.D.
" Haben die einen Termin? ", wollte A. D. von ihr wissen.
" Nein, die kommen von Asylbewerberheim um die Ecke. "
" Aja, vom Heim also. Gut, kannst´e mir mal ´nen paar Vollmachten bringen? ", sagte A.D. zu der Auszubildenden D.
" Ja, mache ich. ", antwortete diese.

Dann kamen Menschenmassen in das Arbeitszimmer des A.D. Zwei Erwachsene und fünf Kinder. Alle hießen Pr. und kamen aus Bosnien. Prs. aus Bosnien also. Bosnien, das ist weit weg von B. Eigentlich zu weit. Aber da die Pr.´s hier Asyl haben wollten, weil in ihrem Heimatland Krieg herrscht und A.D. auch Asylrecht bearbeitet, erzählt Herr Pr. im gebrochenen deutsch, warum er und seine Familie geflohen sind. Krieg - zu Weihnachten?
Nein, den Menschen muss man helfen.
A. D. lässt sich sieben Vollmachten unterschreiben, nachdem er die Geschichte der Familie Pr. und ihrer Flucht aus Bosnien in seiner eigenen Klaue auf Papier gebracht hat.

" D. könntest Du mal die Packung Kekse aus meinem Koffer holen? Verteile sie an die Kinder draußen, okay!" D. ging aus dem Raum und öffnete die " Minimal " - Kekspackung. Die vier Kleinkindern mümmelten alle Kekse weg. Eines war dafür noch zu jung..  
" Möchten Sie einen Kaffee? ", fragt A.D. die Eheleute Pr.
" Nein, danke! ", gibt Herr Pr. zur Antwort.
" Herr Pr., ich werde für Ihre Familie und Sie jetzt einen Asylantrag stellen. Sie sind ja geflohen. Aus einem Kriegsgebiet. In Ihrem Land sterben Menschen durch Waffen. Ich werde die Anträge heute noch an das  Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellen. Soll das so sein? "
" Ja! ", gab Herr Pr. zur Antwort.
" Gut, dann machen wir das hier. Ich müsste dann noch einen Vorschuss haben.Können Sie, äääääääähhhhhhhm, können Sie 500 Mark aufbringen? "
" Kein Prooobläm!", sagte Pr. und zückte seine Brieftasche.
Dann blätterte er 10 Scheine zu 50 DM hin.
" Gut, dann lasse ich eine Quittung für Sie ausstellen. "

A. D. verlässt den Raum und begibt sich zu dem Vorzimmer. " D.... kannst Du eine Quittung ausstellen? 500 Mark von Herrn Pr. für die Asylverfahren? ", fragte A.D. seine Azubine.
" Ja, mache ich! ", antwortete diese.
A.D. ging zurück in seinen Arbeitsraum. Es muffelt dort nach abgestandenen Fett, nach Schweiß, nach Essen. Er öffnete das Kippfenster.
Die leicht kühle Luft von draußen zieht in den Raum.
Die Tür öffnete sich und die Auszubildende erscheint.
" Die Quittung für Herrn Pr. ", sagt sie und legt das vorgedruckte Blatt mit Stempel versehen auf den Schreibtisch des A.D.
" Danke!"; entgegnet A. D. ihr, ehe sie die Tür wieder schließt.

A.D. unterschreibt die Quittung und nimmt das Geld an sich. Dann übergibt er das Blatt Herrn Pr.
" Also, dann bis demnächst. Ich sende Ihnen eine Kopie der Anträge. Dann warten wir ab. ", sagte A.D. zu den sorgenvoll schauenden Mandanten.
" Danke, Danke!", sagten die beiden Erwachsenen, ehe sie den Raum verlassen.
A.D. steckt den Bündel 50 DM - Scheine in seine Hosentasche und geht in das Vorzimmer.
" D. wir müssten noch die Asylanträge stellen. Dann machen wir Feierabend. Okay? "
" Ja, geht klar. ", sagte D. zu A.D.
Der begibt er sich zurück in sein Arbeitszimmer, holt das Diktaphon aus der Schublade und legt los.
" An das Bundesamt......"
Dann folgt: " Asylantrag gemäß Artikel 16 ... GG... des Herrn.. Pr., der Frau .. Pr., der mdj...Pr. usw. "

A.D. diktiert mehr als 1 Stunde. Dann sind die beiden Mini - Bänder voll.
Er legt die Kassetten mit den Vollmachten und dem handschriftlichen Auftrag, eine neue Akte anzulegen, auf den Tisch der Azubine D. und verlässt das Büro.
Er fährt mit der Straßenbahn erneut in Richtung Innenstadt; steigt aber vorher an einer Haltestelle aus, in dessen Nähe sein einstiges Büro liegt. Der etwas schmuddelige, herunter gekommen aussehende Stadtteil ist voller Menschen. An der Haltestelle B.-Straße steigt A.D. aus.  Dort befindet sich eine Drogeriefiliale mit dem Namen " KD ". Hier kauft A.D. ein Flacon der Marke " 4711 Gabriela Sabatini " und ein Rasierwasser für seine Frau und den Schwiegervater, der ja zu Weihnachten besucht werden soll. Er lässt sich die Packungen als Geschenk aufpeppen und zahlt wieder in bar. Das Geld des Herrn P. hat er immer noch in der Hosentasche.
Dann fährt A.D. zurück zum Büro.
Er steigt aber eine Haltestelle vorher aus, betritt erneut den " Minimal " - Discounter und kauft dort eine weitere CD, die er vorher schon in der Hand gehalten hatte.
Für sich, eben -zu Weihnachten. Prima Rockmusik!

Nach mehr als zwei Stunden kommt A.D. zurück zu seinem Büro. Seine Auszubildende hat die Asylanträge längst abgetippt. Es ist inzwischen 15.00 Uhr..
A.D. liest die Schreiben durch, korrigiert die Schreibfehler und übergibt diese der Auszubildenden D.
" Kannst´e das noch bitte verbessern? ", fragte er sie.
" Ja, klar, mache ich! ", antwortete D. ihm.
D. legt wieder los. Nach einer halben Stunde liegt der Antrag auf Asyl der Familie Pr. aus Bosnien wieder auf seinem Schreibtisch.
A.D. liest den Antrag erneut durch, unterschreibt diesen und lässt ihn 6 mal kopieren.
Dann legt D. die Schreiben in den DIN A 4 -Umschlag und adressiert ihn.

A.D. steht inzwischen an dem Tresen artigen Aufbau vor dem Schreibtisch der Azubine D. Er überlegt einen Moment, dann sagt er: " Morgen ist ja Heilig Abend. Da machen wir dicht. Du brauchst nicht zu kommen, D. "
Seine Auszubildende schaute vom Schreibplatz mit erhellender Miene hoch und sagt: " Okay, danke!"
A.D. fährt fort: " Ach, ja, ehe ich´s vergesse. Es gibt dieses Jahr Weihnachtsgeld. Da kannst´e für Deine Mama auch noch was kaufen. "
A.D. sagt betont " Mama ", weil er längst mit bekommen hatte, dass D.´s Eltern inzwischen geschieden waren und sie bei ihrer Mutter gelebt hatte, jetzt aber eine winzige Wohnung, ein Loch eher, einige hundert Meter vom Büro entfernt, bewohnt.

A. D. zieht aus seiner Hosentasche zwei hell - braune 50 Mark - Scheine heraus und legt sie bei D. neben die Schreibmaschine.
" Danke!", sagte D. zu ihm.
" Bitte!", antwortete A.D.
" Feierabend! Nimmst Du die Post noch mit? ", fragte er noch, ehe er sich seine Regenjacke anzog.
" Ja, mache ich! Frohe Weihnacht!", sagte D.
" Ja, für Dich auch. ", gibt A.D. ihr zurück.

Beim Verlassen des Büros denkt A.D. an die Familie Pr., an den Krieg im Balkan, an das Morden und den sinnlosen Einsatz von Waffen aller Art. Aber, auch daran, dass es am 24. Dezember jenes Jahres 1992 keine Gerichtstermine gibt. Er stieg in die Straßenbahn und fährt in Richtung Innenstadt. Schöne Weihnacht, Frohe Weihnacht - überall?


    
    










 

Kommentare

Themis hat gesagt…
Hallo,

wieder mal ein gelungener Eintrag von dir! Ist immer wieder schön auf deine Seite zu gehen und darin zu lesen.

In diesem Sinne - Frohe Weihnacht!

LG Manu
Lobster53 hat gesagt…
Danke, Manu! Joooh, mal wieder aus dem Nähkästchen der schlechten alten Zeit erzählt. War gestern ein wenig melancholisch drauf und bin in den Zeiten herum gesprungen. Tippfehler waren auch reichlich vorhanden. Eine Todsünde für jeden Pädagogen ( zumindest damals), der/die hätte mir den Text um die Ohren gehauen.
Dir natürlich auch ein Frohes Fest. Lasse Dich nicht stressen oder sonstwie vom realen Leben herunter ziehen.

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