Dieter Hildebrandt, wie er lacht, schießt und rappt. Von der Münchner Lach - und Schießgesellschaft über den Scheibenwischer bis zu den Notizen aus der Provinz.


Wer als Nachkriegskind in den seltenen Genuss kommen durfte, die Anfangsjahre des bundesdeutschen Fernsehens in schöner Regelmäßigkeit mitzuerleben, wird sich sicherlich an bestimmte Sendungen, Serien oder Schrullen erinnern. Das vormals einprogrammige TV - Angebot, zudem zeitlich sowie inhaltlich noch stark reglementiert, hatte zwar seine triste Einfall(t)slosigkeit nicht durch permanente Wiederholungen versucht zu kaschieren, dennoch gab es gewisse, temporär wiederkehrende Rituale.
Neben eingekauften US - Dauerläufern, wie " Fury ", " Lassie " oder " Flipper " und regionalen Eigenproduktionen, waren das so etwas wie kulturelle Sendungen. Die Verzahnung von Politik, Musik, Kleinkunst und Humor stellte dabei das Kabarett dar.

http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/radio_und_fernsehen/fernsehgeschichte_in_deutschland/index.jsp

Genauer gesagt: Es ist das politische Kabarett, das in den Gründerjahren der bundesdeutschen Fernsehlandschaft eine durchaus beachtete Rolle spielte. In den dann meist aufgezeichneten, später auch direkt übertragenen Auftritte der " Berliner Stachelschweine ", der " Münchner Lach - und Schießgesellschaft " oder des " Düsseldorfer Kom(m)ödchen " lockten dabei viele Millionen Zuschauer vor die noch überschaubare Anzahl von Röhrengeräten, die die Ausmaße einer heutigen Gefriereinheit besaßen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kabarett#Deutschland

Wenn das Politische Kabarett gezeigt wurde, dann waren damals jene Nachkriegsvertreter zu sehen und vor allem zu hören, die da hießen:

" Tol(l)eranten“ in Mainz (mitHanns Dieter Hüsch), das „Kom(m)ödchen“ in Düsseldorf (mitKay und Lore Lorentz), „Die Schaubude“ in München (1945–1948 mit Ursula HerkingBum KrügerHellmuth KrügerMonika GrevingKarl SchönböckBruno Hübner) - der ein paar Jahre nach der Schließung die Kleine Freiheit und noch später die Münchner Lach- und Schießgesellschaft (mit Dieter Hildebrandt,Klaus HavensteinAchim StrietzelUrsula HerkingHans Jürgen Diedrich und Sammy Drechsel) folgten - sowie „Die Stachelschweine“ in Berlin (mit Rolf Ulrich, Inge Wolffberg, Günter Pfitzmann, Jo Herbst, Wolfgang GrunerAchim Strietzel) "...

- Zitatende - aus Wikipedia - Kabarett

Die Hochzeiten des programmatischen, politischen Kabaretts waren zweifelsohne die 50 und 60er Jahre. Dieses kann aus meiner - heutigen - Sicht mit der einstigen Medienlandschaft begründet werden, die neben den von Parteifunktionären und Parteimitglieder aus den Reihen der CDU/CSU und anderen, konservativ agierenden gesellschaftlichen Gruppen sowie Institutionen ( Kirchen ) beeinflusst waren. Zudem brachte der Presse - Monolith Springer mit seinen reaktionären Druckerzeugnissen die Gesellschaft in Westdeutschland auf den richtigen, den rechten, den bürgerlichen Weg.

Politisches Kabarett im Sinne der Programmatik, der beispielhaft, wie oben benannten, Protagonisten, diente eben dazu, den offiziellen Vertretern dieser Institutionen ab und zu auf die fetten Wurstfinger zu klopfen. Selten verbarg sich dahinter eine ideologische Absicht, noch waren die Beiträge absichtlich, parteipolitisch eingefärbt.
Wenn also die Nachkriegsvertreter dieser Art von Kleinkunst ( ihre Vorgänger wurden von dem braunen Mördermob in das KZ verfrachtet oder in anderer Form mundtot gemacht ) ihren humorvollen Senf zu aktuellen Themen, Trends und Personalien dazu gaben, schauten sie selbstverständlich dabei auch dem gemeinen Volk auf´s Maul.

Als meine Großeltern in den frühen 1960er Jahren von einer lumpigen Entschädigungszahlung des mit Ex - Nationalsozialisten und sonstigen NS - Verbrechern durchsetzten Staatsapparats, für das erlittene Unrecht meines Großvaters als einstiger KZ - Insasse, einen - sündhaft teuren - Schwarz - Weiß - Fernseher kauften, saßen wir - meist nur zu den Kindersendungen ab 16.00 Uhr - in deren Wohnzimmer und glotzten fern. 

Später dann war es uns erlaubt, auch das sehr überschaubare Abendprogramm mit zu sehen, das zuvor großartig in der " Hör Zu " angekündigt war.

Wenn dabei die Kabarettsendungen jener benannten Besetzungen gesendet wurden, verstanden wir zwar nur " Bahnhof ", doch interessant war es alle Male, denn die dort gezeigten Köpfe waren nahezu immer die gleichen. Und wenn die im Publikum gezeigten Erwachsenen sich durch Lachsalven, Gekichere und heftiges Klatschen köstlich amüsierten, wussten wir zwar immer noch nicht, warum dieses geschah, aber wir gehörten als Teenager jetzt dazu. Das war sehr wichtig, schließlich wollten wir ja auch erwachsen werden. Deshalb waren die kabarettistischen Jahresrückblicke, wie " Rückblende " oder " Schimpf vor Zwölf ", in denen das gesellschaftliche - und politische Geschehen am Silvesterabend ordentlich auf die berühmte " Schippe " genommen wurde, ein kleines Privileg, ein winziger Schritt in das wahre Leben da draußen, auch wenn wir es nie verstanden, was dort kritisiert wurde.


Zu den bekanntesten Gesichtern in jener Zeit zählte zweifelsohne Dieter Hildebrandt. Das war der, nicht mehr ganz so junge Mann, der neben Sammy Drechsel ( den kannten wir vom Sport ), Klaus Havenstein ( der war durch Quizsendungen im Nachmittagsprogramm bekannt ) oder auch Ursula Herking ( die spielte einst in dem Krimi - Sechsteiler " Tim Frazer " von Francis Durbridge eine Rolle ) im biederen Anzug mit weißem Hemd  und schwarzer, klobiger Hornbrille auf der Bühne stand.   


Nach dem Auseiandergehen der " Münchner Lach - und Schießgesellschaft " 1972 trat Dieter Hildebrandt mit einer eigenen Sendung " Notizen aus der Provinz " auf, die 1973 bis 1979 jeweils sonntags ab 21.00 Uhr,  ein Mal im Monat im ZDF gesendet wurde. Der schwarze CDU - Haussender torpedierte jenes Format, in dem Dieter Hildebrandt auch Sequenzen aus anderen Sendungen, in denen vor allem Politiker auftraten, einspielen ließ und diese dann mit ironischen bis sarkastischen Kommentaren untermalte.

Das CDU - ZDF verordnete ab 1980 dem Kabarettisten eine " Denkpause ", weil sich Parteifreunde des schwarzen Lerchenberg - Senders über die Inhalte der Sendung bei der Intendanz beschwerten.

Dieter Hildebrandt produzierte danach den " Scheibenwischer " und wechselte damit zur ARD. Der " Scheibenwischer " blieb von 1980 bis 2008 ein Dauerbrenner. Zumal dort regelmäßig Kabarettisten als Gäste auftraten. Auch hier gab es natürlich Ärger mit den Schwarzen. Der CSU - hörige Franz - Josef Strauß - Heimatsender Bayrische Rundfunk blendete sich anlässlich einer " Scheibenwischer " - Sendung aus dem laufenden Programm aus, weil den Bazis und der CSU die Richtung zu der Tschernobyl - Katastrophe 1986 nicht passte http://de.wikipedia.org/wiki/Scheibenwischer_(Kabarett)#Politische_Skandale )

Zwischenzeitlich, nämlich ab 1974 bis 1981  arbeitete Dieter Hildebrandt  mit dem österreichischen Kabarettisten Werner Schneyder zusammen, mit dem er verschiedene Bühneprogramme konzipierte. Ein langjähriger Kollege war ab den 1980er Jahren dann auch Gerhard Polt. Mit dem Kabarettisten trat er auch in den Filmen " Kehraus " und " Man spricht deutsch " in den 80er Jahren auf. Daneben spielte er in der Dietl - Fernsehserie " Kir Royal " mit.
Danach trat er einige Male in der ZDF - Sendung " Neues aus der Anstalt " als Gast auf, begab sich mit eigenen Programmen auf Tournee und führte Bücherlesungen durch.

Dieter Hildebrandt hat die Mitstreiter der ersten Fernsehjahre aus der Nachkriegs - und Wirtschaftswunderzeit um viele Jahre überlebt, womit er das Attribut des " Old Shattermouth " ( in Anlehnung an die Karl - May - Romanfigur " Old Shatterhand " ) zugesprochen erhielt.

" Old Shattermouth " verstarb gestern, am 20. November 2013 im Alter von 86 Jahren in München.
Das Fernsehen wird ihm in den erforderlichen Reminneszenzen als einen unvergessenen Berufsspötter, Kritiker und scharfen Gesellschaftsanalytiker darstellen und somit die letzte Berufsehre erweisen, auch wenn er dort für viele Jahre  nicht immer beliebt war.

http://de.wikipedia.org/wiki/Dieter_Hildebrandt

Das lag auch unter anderem daran, dass er seine unterstützende Einstellung zur SPD, wo er als Wahlhelfer in der Willy - Brandt - Ära fugierte, allzu häufig in seine Auftritte mit einfließen ließ, ohne jedoch zu einseitig zu wirken.
Dazu war Dieter Hildebrandt zu vielseitig veranlagt.  Ein Grund dafür, weshalb er auch Modetrends mit zynistischen Zügen belegte. Unvergessen sein sensationeller " Rentner - Rap " 2011:


Rentner - Rap ( Text ):

Wo ich geh´ / Wo ich steh’ / Was ich höre / Was ich seh’ / Rappen Deppen diesen Schmäh’ / Den ich meistens nich’ versteh’ / Leise flehen meine Glieder / Singt doch meine Lieder wieder /
Doch die miesen, miesen Brüder / Rappen meine Lieder nieder, ja / Unten siehste Teenies hocken / Noch nicht hinter´n Ohr’n trocken / Die dich schrecken / Die dich schocken / Dich mit dicken Lippen locken / Aufgespritzt und aufgeblasen / Zugepierct die Babynasen / Unter’m Bauch kommst wabblig raus /

Baby, du siehst scheiße aus! Ja!

Und daneben/ Und daneben/ Hocken Knaben/ Die den Arsch voll Akne haben/Und so blöde Hosen tragen/ Die ein Jahr im Dreck rum lagen/ Geile Röhren, irgendwie/ Nur der Hintern liegt im Knie/ Und es kommt auf´s Gleiche raus/

Buby, Du siehst scheiße aus! Ja!

Wo ich geh´/ Wo ich steh´/ Was ich höre/ Was ich seh´/ Immer es ist´s nur rappen/ Selbst in Heppenheim und Meppen/ Und warum, frag ich mich?/ Deppen, muss ich mich bis Meppen schleppen?/ Weil sich Heppenheim und Meppen/ Ganz vorzüglich reimt auf Rappen/ Ja oder Nein? / Darauf muss keine Antwort sein/ Ich bin klein, mein Herz ist rein/ Komm auch in den Himmel rein/ Steh´ ich an der Himmelstür/ Und dann sag´ ich/ Ich kann doch auch/ Ich kann doch auch/ Wirklich nichts dafür/ Jah!







Kommentare

lilalotti hat gesagt…
Herzlichen Dank für den Text vom Rentnerraps des von mir sehr verehrten Herrn
Dieter Hildebrandt. Ich werds auswendig lernen - auch ohne Stock ;-)
Lobster53 hat gesagt…
Gern geschehen! Dieter war eben sensationell. Ein Stück TV - Geschichte, ein Unikum, ein Tausendsassa, der sich nie den Mund verbieten ließ. Er bleibt bei mir für immer in Erinnerung, weil er und andere Künstler seiner Zeit, Fernsehen als Medium und nicht als installierte Bereicherungsmaschinerie für minder begabte Kollegen sah.

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