Ich, ich, ich, werde heute auch noch ´ne Pizza essen!

Schon wieder eine Woche herum. Die Zeit scheint davon zu rasen. Bald ist es so weit: das große Event, der 120te Geburtstag oder Catering für 30 Personen steht an. Und während meine bessere Hälfte ihre ebay - Auktionslust deshalb mehr denn je auslebt, versuche ich die unfertigen Projekte des letzten 5 - Jahresplans irgendwie vor mir her zu schieben. Das Gästebad - immer noch nicht fertig! Die Trennwand im viel zu feudalen Treppenhaus - immer noch nicht zurückgebaut! Die in sich zusammen sackende Backsteinmauer zum Kellereingang - immer noch nicht abgerissen! Puh, habe ich eine Lust!

Während ich mir die Hände beim Russ absaugen so richtig schwarz mache, der Staubsauger zum Russabsaugeutensil zweck entfremdet wird und die Waschküche anschließend eine Grundreinigung erfährt, kommen mir einige Gedanken an die andere, die leicht unbeschwertere Zeit vor 40 Jahren. Was war das doch noch bequem! Zuhause zu hocken, immer ein warmes Zimmer zu haben und auch sonst die einstigen Annehmlichkeiten des jungen Twens in vollen Zügen genießen zu können. Ich verstehe die heutigen Schüler, die Azubis und Studenten ein wenig, denn ein voller Kühlschrank, ein gedeckter Frühstückstisch und gewaschene Klamotten, die dann auch noch von den Alten finanziert werden, sind doch eine prima Erfindung der Nachmillenniumszeit.

Auch wenn ich einst Kostgeld als Lehrling, als Schüler abzugeben hatte, auch wenn ich im täglichen Kampf um einen funktionierenden Haushalt häufig mit eingespannt wurde und auch wenn ich die Versuche der Bevormundungen mit Vehemenz abzubügeln gedachte, es war eine sehr bequeme Zeit, jene Jahre bis zum Beginn des Studiums.
Ich konnte kommen und gehen, wann ich wollte. Hörte meine Rockmusik, glotzte bis zum Sendeschluss ( der war damals meist kurz vor Mitternacht ) Fernsehen und traf mich mit Freunden in diversen Kneipen. Hierzu zählten damals das " Minchen " in Bückeburg, jene Bretterbude, die einst als Ostbahnhof fungierte und die dann in den 70er Jahren als Lokal von einem ehemaligen " Blindow " - Schüler ausgebaut wurde, dann die " Destille ", eine Art Bistro - Kneipe - Pizzeria - Verschnitt, die i der Bahnhofsstraße fast zur selben Zeit eröffnet wurde und wenig später " Das Treppchen ", eine im Keller eines Restaurants belegenes Lokal, das eher sehr einfach aufgemacht, ein Treffpunkt für einige Non - Konforme war, die nicht so viel Geld hatten, um im " Minchen " ein " Guiness " vom Fass ( natürlich damals schon mit Konservierungsstoffen und deshlb nicht ansatzweise mit dem irischen Original, wie es beispielsweise bei " Johnny Fox´s " kredenzt wird, vergleichbar ), ein Baquette oder in der " Destille ", eine der leckeren Pizza - Variantionen verzehren zu können.

So gehörte ich denn zu jener Zeit zu denen, die weder die Kohle, noch die Ambitionen hatte, um mich ständig in eben dieser " Destille " aufhalten zu können. Denn wenn dort überhaupt ein Tisch zu ergattern war, wurde  ringsherum eifrig Pizza gespachtelt. Und wie. Da kamen die Fladen artigen, mit Leckereien, wie Sardellen, Thunfisch oder Parmaschinken ( na,ja, so stand es jedenfalls auf der Speisekarte ) belegten, gelb -bräunlich, knusprig gebackenen Pizzen an die Nachbartische und schon wenig später mahlten die Zähne auf die mit Messer und Gabel zerteilten Stücke herum. Da lief dem Nichtesser schon beim Geruch der meist dampfenden Köstlichkeiten das Wasser im Munde zusammen. Und während eben um mich herum gefuttert wurde, hielt ich mich an einem Mineralwasser oder einem Glas Cola fest. Versuchte dabei mein Hungergefühl durch ständige Gespräche zu unterdrücken und tat so, als ginge mich die kollektive Fresserei hier überhaupt nichts an.

Die Pizzen in der " Destille " waren damals weit über Bückeburg bekant. So erschienen längst regelmäßig junge Gäste aus Minden, Stadthagen oder Rinteln, um die wenigen Tische ab 19.00 Uhr zu belgen. Der Pizzabäcker oder besser der Koch war ein gebürtiger Italiener, dessen Küchenzaubereien wohl seit Kindesbeinen oder sogar mit der Muttermilch eingesogen waren. Einst waren Italiener die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Schaumburg. Da lag an der Glasfabrik Heye in Obernkirchen, wo einige Hundert Italiener Schichten fuhren und im Vergleich zu den Verdienstmöglichkeiten in ihren Heimatregionen gut verdienten.
Wer keine stupide Bandarbeit im 3 - Schichtrhythmus kloppen wollte, konnte eben auch Pizzabäcker werden. Der wurde vielleicht noch Müllwerker, mehr aber war für die Masse der italienischen Mitbürger auch damals nicht vorgesehen. Die " Spaghettis ", die " Kanaken " oder Itaker ", wie sie verunglimpft wurden, waren nur geduldet - geliebt waren sie nicht. Oder wenn, dann nur, weil sie ein Restaurant betrieben, Pizzabäcker oder Müllmann waren.

Tja, und während meine Besuche in der " Destille " auch in den Folgejahren eher weniger wurden, beschränkte ich mich darauf, dort eine leckere Pizza zu verspeisen. Das Publikum, die jüngeren, in etwa gleichaltrigen Leute, waren mir eh egal. Auch jene " Blindow " - Schüler, die beinahe jeden Mittwoch das Lokal aufsuchten, um eben eine Pizza, eine Lasagne oder Spaghetti Bolognese in sich hinein zu schieben. Ich nahm die " Blindow " - Schüler nie richtig Ernst, weil diese Gruppe zum Teil aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten stammte, weil es zum anderen teil Auswärtige waren, die in jener Privatschule ihren grduierten Betriebswirt erreichen wollten oder die MTA - und PTA - Abschlüsse machen wollten. So interessierten mich auch nicht deren Gespräche über Schule, Politik und anderweitige, private Probleme.

Ebenfalls völlig gleichgültig waren mir die vielen Dorfpommeranzen, die sich an den Wochenenden, an den Mittwochabenden oder insbesondere vor Feiertagen dort aufschlugen. Manchmal saßen diese Landschönheit wie die Hühner auf der Stange vor den Tresen auf einem der wenigen Barhockern und glotzten in dem Lokal umher, ob sich nicht doch ein annehmbarer Dorfjüngling eingefunden hatte. Meistens verlief die Partnersuche erfolglos und so fuhren sie zu zweit, zu dritt oder - eher selten - allein wieder nach Hause. Als Kennenlernmarkt war die " Destille " eher ungeeignet. Hier fuhr frau/man hin, um eine exzellent zubereitete Pizza zu essen und nicht, um einen Kerl zu suchen, der sie bezahlt oder eine Hofzofe zu finden, mit der sie gemeinsam verzehrt werden konnte.

Da saß ich nun, einige Jahre später als BWL - Student im elterlichen Wohnzimmer und führte mit Schwester und Schwager Small Talk. Da dieser Teil der Familie eingefleischte " Destille " - Fans waren, erzählten sie mir denn, dass sie den Samstag zuvor " ne Pizza " in der " Destille " gefuttert hätten. Mir lief schon bei dem Gedanken daran, das Wasser im Munde zusammen. So versuchte ich das Heißhungergefühl zu überspielen, indem ich schnell ein anderes Thema anschnitt. Um dann beim Verabschieden von Schwester und Schwager den kühnen Satz hervor zu stottern: " Ich, ich, ich werde heute auch noch eine Pizza essen! "; wohl wissend, dass ich mir die 10 bis 23 Mark für Pizza und ein Getränk nicht leisten konnte, denn der Tank des R4 war - wie so oft - fast leer und ich hatte nur noch 20 Mark im Geldbeutel, mit denen ich zurück nach Wilhelmshaven fahren musste.
Bei der Rückfahrt zum Studienort hatte ich den Hunger auf eine Pizza wieder verdrängt, drehte mir stattdessen einige Zigaretten aus dem " Drum " - Tabakbeutel, hörte meine Rockmusik und sang die Titel laut mit. Zufrieden kam ich nach mehr als 2stündiger Fahrt an Wohnhaus in der Waagestraße in Wilhelmshaven an, wo ich mein 16 Quadratmeterloch aufschloss, meine Tasche mit sauberer Wäsche und Fressalien auspackte, um dann müde in die Kiste zu gehen. Verpasst hatte ich nichts, denn auch ohne mein Dazutun wurde an jenem Sonntagabend genügend Pizzen in der " Destille " verkauft.

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