Oma Ahrens, der " Fit - Maker " und das Rindsgulasch " Oldenburger Art ".


Weil der Herbst und das Frühjahr bekanntlich dazu da sind, um die Gartenarbeit zu intensivieren, trieb es mich am letzten Wochenende hoch hinaus; in den Zwetschgenbaum nämlich. Der musste wieder einmal ausgeschnitten werden. Deshalb stellte ich die Leichtmetallleiter, die jedoch nicht leicht ist, denn sie lässt sich auf sagenhafte 10,40 m ausfahren, in den Baum hinein und kletterte an ihr hoch. Hinein in das langsam verwelkte Blattwerk und auf der Suche nach trocknen Ästen. Alsbald zeigten sich meine Werkzeuge für das Kappen der viel zu hohen Zweige in der Baumkrone nicht mehr geeignet. Ich stieg auf eine Baumsäge mit Stiel um. Und während ich die Krone ein wenig ausdünnte, kamen mir Erinnerung an jene Zwetschgenbäume, die ich vor vielen Jahren immer vor Augen hatte, als ich einen Schulkollegen besuchte, der damals ein Zimmer an der Bückeburger Straße, der Bundesstraße 65, in Stadthagen bewohnte.

Der Mitschüler, A. kam aus Wilhelmshaven. Jener Stadt am Jadebusen, die und deren näheres Umfeld zu dieser Zeit mehr Soldaten beherbegten als Zivilisten. Auch der Mitschüler A. war einst beim Bund. Er hatte sich für 4 Jahre als Zeitsoldat verpflichtet und war bei dem Fliegerhorst Jever im Ortsteil Upjever stationiert. Als Zeitsoldat brachte er es immerhin zum Dienstgrad des Stabsunteroffiziers; Besoldungsgruppe A 6 plus Zulagen. Als der Schulkollege dann 1974 sich für eines der vormals wenigen Schulzentren in Niedersachsen, an denen das Erlangen einer Hochschulzugangsberechtigung ermöglicht wurde, entschied, gab es diese Möglichkeit eben nicht vor Ort. Er musste deshalb nach Stadthagen, zum dortigen Berufsschulzentrum, und damit mehr als 200 Kilometer weg von seinem Wohnort Wilhelmshaven.

Das ist inzwischen mehr als 38 Jahre her. Und so kreisten meine Gedanken um jenen Mitschüler, der damals auch einige Jahre älter war als ich. Aber keineswegs vernüftiger. Es war auch für ihn eine Zeit, in der er manchmal unvernüftig blieb, obwohl er hätte vernüftig sein sollen.

So erwarb eben jener A. irgendwann im Sommer 1973 ein elektrischen Bauch - und Muskeltrainer, der unter dem Namen " Fit-Maker " verkauft wurde. Dieses kostspielige Gerät sollte angeblich die Muskulatur aufbauen, indem es über zwei, mittels verstellbarer Schlaufen anlegbarer Weichgummielementen, die über einen Transformator mit Schwachstrom versorgt wurden, jene Stromstöße auf die Haut und in die Muskulatur projizierte. Das Gerät war so konzipiert, dass sowohl die Stromstoßintensität als auch deren Taktung stufenlos verstellbar waren. Der stolze Besitzer des vermeintlichen " Fitness " - Trainers berichtete mir eines Tages davon und erzählte mir dabei, dass er den Wunderapparat auch auf volle Stärke gestellt habe, als er auf seinem Bett liegend, die Bauchmuskelatur trainieren wollte. Das Bett besaß einen Metallrahmen und war natürlich nicht schwer, so dass es durch die Vibrationen des " Fit - Maker " zu hüpfen begann. Die äußert verdächtigen Geräusche, brachten sodann die Vermieterin, Oma Ahrens auf den Plan, die wiederum etwas Verdächtiges, nämlich Damenbesuch witterte, den sie - wie es sich für eine Omi mit über 70 Jahren einst gehörte - dem Schulkollegen bereits vor Abschluss des Mietvertrags strikt untersagt hatte.
Nun, Oma Ahrens, lauerte dem Mitschüler am folgenden Morgen auf, um ihn zur Rede zu stellen.

Die peinliche Befragung, vollzog sich noch kurz vor dem Schulbeginn und gestaltete sich - nach meiner Erinnerung, die auf der Erzählung des A. basiert - so:

" Guten Morgen Herr A. "
" Guten Morgen Frau Ahrens "
" Herr A. hatten Sie gestern Abend Besuch? "
" Nein, wieso? "
" Aber ich habe da laute Geräusche aus ihrem Zimmer gehört. "
" Laute Geräusche? Nein, Frau Ahrens, das kann nicht sein. "
" Doch, Herr A. ich habe gehört, dass Ihr Bett quietschte."
" So, Frau Ahrens? Aber, da war kein Besuch."
" Tatsächlich nicht, Herr A. ? "
" Nein, Frau Ahrens. Ich habe trainiert. "

Die Augen der kleinen Oma Ahrens weiteten sich. Ungläubig schaute sie meinen Mitschüler an und drehte sich dann kopfschüttelnd um.
" Sie wissen aber doch, Herr A.,keinen Damenbesuch!", sprach sie noch beim Weggehen.
" Nein, Frau Ahrens, keinen Damenbesuch. Schönen Tag noch. ", antwortete mein Mitschüler uns ging zur Haustür. Er schloss die Tür seines Autos auf und fuhr in Richtung Berufsschulzentrum.

Diese Geschichte führte - nachdem ich sie einem anderen Mitschüler erzählte . auch bei diesem zu einer Lachsalve und trieben auch diesem- so wie  mir - die Lachtränen in die Augen. Als dieser mit mir wenig später morgens an dem Haus von Oma Ahrens vorbei fuhr, flachste er, am Steuer seines VW 1303 " Jeans " sitzend, plötzlich: " Gucke, die Gardinen sind schon aufgezogen, der " Fit-Maker " ist bestimmt schon weg. " Wir lachten lauthals los. " Fit-Maker " war von nun an der Spitzname von  A. aus Wilhelmshaven.

Und weil " Fit - Maker " manchmal unvernünftig war, kam es bei Oma Ahrens zu einer weiteren Begegnung der Dritten Art. Die Sommerferien waren Mitte August zu Ende, das zweite Schulhalbjahr hatte begonnen und " Fit-Maker " traf sich an einem heißen Augusttag spontan mit einigen Mitschülern in einer Stadthäger Kneipe. Dort trank er wohl einige Bier und Alster und fuhr dann am späten Nachmittag zum Haus von Oma Ahrens zurück. Weil er einen mordsmäßigen Appetit hatte, machte er sich kurzerhand eine Dose mit " Oldenburger Rindsgulasch " in einem mit Wasser gefüllten Topf, den er auf einen  Elektroplattenkocher stellte, warm. Weil es schnell gehen sollte, schaltete der hungrige Mitschüler jene Kochplatte auf die höchste Stufe III, legte sich auf sein Bett und schlief dort ein. Deshalb konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie lange er dort gelegen hatte, als er durch einen enorm lauten Knall aus den süßen Träumen gerissen wurde. Was war geschehen? Noch schlaftrunken schoss der einstige Mitschüler, wie von der Tarantel gestochen von seinem Bett hoch und knipste sofort das Licht an, denn es war inzwischen draußen dämmerig geworden. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. An den weiß getünchten Wänden, bis hoch an die Decke, hatten sich bräunliche Spritzer und Kleckse verteilt, auf dem Teppichboden befand sich neben der Anrichte auf der der Zwei - Plattenelektrokocher stand, ein großer Brandfleck, die rechte Platte des Kochers glühte wie ein Hochofen. Von dem Topf war nur noch ein Torso erkennbar und die Blechbüchse, in dem sich zuvor das " Oldenburger Rindsgulasch befand ", war zu einem Klumpen zusammen geschmolzen. Kaum hatte der Schulkollege das Inferno wahr genommen, hörte er auch schon schleppende Schritte im Treppenhaus, die sich dann knarrend von Stufe zu Stufe in Richtung seines Zimmers bewegten. Das weitere Unheil in Gestalt von Oma Ahrens nahte.

Es pochte an der Tür. " Herr A. sind Sie da? ", schnarrzte die Stimme der kleinen Frau. " Herr A. machen Sie doch mal auf. ", bat die Vermieterin den noch unschlüssig vor der Tür stehenden Schulkollegen. Oma Ahrens drückte die Türklinke mehrfach herunter. Vergeblich, denn der Mitschüler hatte sich entschlossen, angesichts des Desasters an den Wänden, der Decke und dem Boden, seine Zimmertür nicht zu öffnen. Oma Ahrens blieb jedoch hartnäckig. Sie pochte erneut an das Türblatt und wurde nun etwas lauter: " Herr A., nun machen Sie doch mal bitte auf. Was war da los, Herr A. ? ", sprach die Vermieterin.
Mein Schulkollege änderte wegen der Hartnäckigkeit der Rentnerin die Taktik. Er schloss die Tür auf und stellte den rechten Fuß gegen das Türblatt, so dass die davor stehende Vermieterin nicht sofort in den verwüsteten Raum sehen konnte. Zudem hatte er das Licht wieder ausgeknipst. " Herr A., was war hier los? Herr A. was war das für ein lauter Knall? ", mit diesen Fragen bombardierte Oma Ahrens ihn sofort. " Nichts, nichts, Frau Ahrens. Es ist etwas herunter gefallen, Frau Ahrens. ", redete sich der Schulkollege heraus. " Nun, zeigen Sie doch mal, was das war. ", drängte die Oma ihn und schob sich in den Türspalt hinein. Gleichzeitig machte sie sofort die Deckenbeleuchtung an.
Ein entsetztes: " Um Gottes Willen! Herr A., Herr A.!Wie konnte das nur passieren, Herr A? Ich dachte, Sie sind so ein vernüftiger Mensch!" prasselte auf den, die peinliche Situation herunter spielenden Mitschüler herab.

Nachdem sich Oma Ahrens schnell wieder beruhigt hatte, sagte der Mitschüler ihr zu, den Schaden zu beheben. Er weißelte an folgenden Wochenende den Raum, verlegte neuen Teppichboden und reparierte den Brandfleck auf der Fußbodendielung. Der ebenfalls aus der Nähe von Wilhelmshaven stammende Mitschüler mit Namen Arnold half ihm dabei. So verbrachte das Duo seine Freizeit mit Maler - und Verlegearbeiten, die Materialien besorgte sich der Schulkollege von einem nahe gelegenen Supermarkt. " Oldenburger Rindsgulasch " für 1,69 DM je Dose gab es nicht, dafür gingen die Beiden beim Italiener in Stadthagen Pizza essen.

Als mir der Mitschüler diese Geschichte am darauf folgenden Montag erzählte, kam ich aus dem Lachen nicht heraus. Eine Dummheit war es alle Male, jedoch verlief das Malhör noch glimpflich.
Anders bei dem letzten Unglück, dass Mitschüler A. auf der Heimfahrt von Stadthagen nach Wilhelmshaven widerfuhr. A. absolvierte im 14tägigen Rhymtmus seine Familienheimfahrten. Einst wohnten seine Eltern dort, in deren Haus er ein Zimmer bewohnte. An jenem frühen Samstagmorgen im Februar startete A. noch vor dem Hellwerden mit seinem Opel Kadett in Richtung seiner Heimatstadt. Es war kalt, es hatte in der Nacht wieder gefroren. Auf dem Gehweg vor dem Haus von Oma Ahrens war es spiegelglatt. Die Straßen in der Stadt waren allerdings mit Salz abgestreut. So fuhr der Mitschüler zügig aus Stadthagen heraus, über Petershagen, Lade in Richtung Sulingen. Die dort verlaufende Bundesstraße 61 war zwar überwiegend in einem trockenen Zustand, trotzdem hatten sich an den Straßenrändern Eisflächen gebildet. Für die 180 Kilometer benötigte ein PKW damals mehr als 3 Stunden, deshalb drückte der Mitschüler auch in den vielen Kurven auf das Gaspedal.
Wenige Kilometer vor der Ortschaft Barenburg geriet der Kadett zu weit an den rechten Randstreifen, wo sich Eisflächen gebildet hatte. Der Mitschüler verlor die Kontrolle über das plötzlich ausbrechende Fahrzeug, das sich mit einer großen Geschwindigkeit in Richtung eines Ackers bewegte, dort eine tiefe Fahrrinne hinein pflügte, dann abgebremst wurde, sich seitlich mehrfach drehte und dann auf der Beifahrerseite liegen blieb. Der Schreck saß dem Mitschüler noch in den Gliedern, als er vergeblich versuchte, die Fahrertür zu öffnen.

Der Unfall blieb nicht unbemerkt. Ein Landwirt, der zufällig mit seinem Trecker auf dem eigenen Hof herum fuhr, eilte sofort zum Unfallort und half dem geschockten Mitschüler aus dem Fahrzeug. Er hatte dabei Glück im Unglück, denn außer einer eingebeulten Beifahrertür war der Rest des PKW heile geblieben. Der Landwirt zog den Opel Kadett vom Acker, während dessen seine Frau dem erbleichten Schulkollegen einen Korn einschenkte, damit er sich erst Mal beruhigen konnte. Dann nahm der Landwirt einen Druckreiniger, säuberte den völlig verschmutzten PKW noch und fragte, ob er auch tatsächlich weiter fahren könne. Irgendwelche Schäden wollte er nicht ersetzt haben und von der Polizei hielt der Bauer gar nichts. So konnte der Schulkollege seine Heimfahrt - wenn auch erheblich verspätet - fort setzen.
Auf der Rückfahrt von Wilhelmshaven nach Stadthagen hielt mein Schulkollege bei dem freundlichen und hilfsbereiten Landwirtspaar noch kurz an und bedankte sich mit einem Blumenstrauß für die Rettungsaktion. Die Bauersfrau gab ihm bei der Verabschiedung noch die Worte mit auf dem Weg: " Junger Mann, fahren Sie immer vorsichtig. Es passiert hier immer etwas!"
Der " Fit-Maker ", der Mitschüler A. aus Wilhelmshaven fuhr zwar mit seinem Opel Kadett nun langsamer, aber nicht, weil er sich die Worte der Frau aus dem Dorf Nahe Barenburg gemerkt hatte, sondern weil der 2. Gang ständig heraus sprang. Als dann auch noch die Vorderreifen einseitige Abnutzspuren aufwiesen, stellte er den hoch betagten Kadett einem Bekannten vor, der ihm riet, in einer Fachwerkstatt die Spur nach messen zu lassen.

Das Ergebnis des Werkstattbesuchs war denn noch ernüchternder als befürchtet. Der Kfz_Meister riet ihm schlankweg: " Das mit dem 2. Gang ist nicht Ihr Hauptproblem und die Spur könnten wir auch nachstellen,nur: Ihre Achse hat sich verzogen, da ist nix zu machen. Den Karren können sie weg schmeißen!"
Leicht geschockt fuhr der Schulkollege vom Werkstatthof und ließ später den Opel verschrotten. So zeigte sich, dass das dicke Ende dann doch zum Schluss kommt.
" Fit - Maker " war damals ein Lebenskünstler, ein Unikum, der sich dann mit mir zum BWL-Studium nach Wilhelmshaven begab, wo wir uns nach frustrierenden 4 Semestern verabschiedeten. Er schrieb sich an der GHS Kassel ein, erreichte dort das Vordiplom in BWL und studierte dort Wirtschaftswissenschaften weiter, ehe er in den frühen 80er Jahren das Studium abschloss. Ich habe ihn danach aus den Augen verloren.
Als ich vor einigen Tagen seinen Namen bei Google eingab, erhielt ich einen Artikel über ihn in einer Lokalzeitung aufgeführt, worin von seiner Teilnahme als 60jähriger am New York Marathon 2010 berichtet wurde. Hier belegte er  einen sehr guten Platz.  Alle Achtung! Ein wirklicher " Fit - Maker ", dieser Mann!



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