Im Märchenwald von St. Georgen


 Das Wetter am Samstag war eben nicht gerade einladend. Dennoch konnte es uns nicht von einem Besuch in jenes Refugium abhalten,dass so manchen längst Erwachsenen in die Kindheit zurück katapultiert und ihm dabei die Angst aus diesen – längst vergessenen – Zeiten erneut virtuell vor Augen führt: Der Märchenwald. Ein Konstrukt der Erwachsenenwelt aus der Nachkriegsära. Aus jenen Jahren, in denen weder das Pantoffelkino noch sein großer Bruder von einst, das Kino in der näheren Umgebung,in irgendeiner Weise in der Wunschwelt der Kinder von damals herum spukte. Zum einen scheiterte ein Kinobesuch an den schmalen Finanzen der Eltern, zum anderen an deren Interesse, sich die laufenden Bilder selbst mit anszusehen.
Da war ein Besuch im Märchenwald, den es zu Zeiten meiner Kindheit in Wiedensahl, dem Geburtsort von Wilhelm Busch schon gab, eine sinnvolle Alternative. Von damals sind mir noch jene Figuren in Erinnerung,die den Dichter aus Niedersachsen berühmt gemacht haben. Max und Moritz, die Witwe Bolte, der Lehrer Lämpel. Sie standen da in Holz und farbig angestrichen, quasi mitten im Wald. Bedrohlich dunkel sahen die Szenen schon aus, die sich dem kleinen Betrachter dort boten. Aber die Protagonisten waren mir so gut bekannt, wie auch jene, die bei den Gebrüdern Grimm in Hülle und Fülle aus einer erzählten Traumwelt vermittelt wurden.
Die gute Frau Holle und ihre beiden Töchter, die Goldmarie und die Pechmarie, die bettelarmen Hänsel und Gretel sowie deren verzweifelte,aber nicht böse Eltern, der dafür umso bösere Wolf, die Geis und ihre 7 Geislein, sie alle verzauberten über viele Jahre die Kinderwelt. Mit der Pubertät und dem zunehmenden Interesse an anderen Dingen des noch jungen Lebens, verschwanden die Märchenfiguren über viele, viele Jahre in der Versenkung. Das reale Leben bot genug Stoff, aus dem sich Märchen erzählen ließen. Ob nun die Schulzeit und die darin enthaltenen, ungezählten Streiche, die ersten tage, Wochen und Monate der Lehrzeit oder die erste Jugendliebe, sie bestimmten den Lebenabschnitt. Für Märchen war da kein Platz mehr. Wenn solche überhaupt noch gefragt waren,dann allenfalls im Bereich der Musik, die ich täglich hörte.
Dieses änderte sich nach und nach mit der Geburt meiner Tochter. Jetzt hatte ich die Märchen von einst wieder in farbigen Hochglanzbüchern geschrieben ,jeden Abend in meinen Händen. Eine Geschichte vorlesen, so lautete die unmissverständliche Forderung meiner Tochter,wenn ich aus dem Büro kam. Damit konnte ich meine eigene Phantasie wieder aufleben lassen und die längst abgelegte Kindheit kam zurück. Jeden Tag eine Geschichte oder ein dann längeres Märchen vorzulesen; so geriet ich nicht aus der Übung. Nun, diese Zeit ist bereits mehr als 13 Jahre vorbei. Auch jene Kinder – und Märchenbücher sind auf die Halde der eigenen Lebensgeschichte geraten, verschwunden aus meinen Gedanken und als gern erledigte Pflichtübung abgehakt.
Da standen wir nun, die vier Erwachsenen und drei Kinder, vor dem Eingang des Märchenwlades in St. Georgen in der österreichischen Steiermark und betraten dann das Gebäude, in dem zunächst 51,-- Euro Eintritt fällig wurden. Nicht gerade billig,aber die Neugier war eben groß – nicht nur bei den Enkeln.


Die in einem Waldstück eingearbeitete Anlage zeigte sich dann als wahre Fundgrube für Klein und Groß. Neben einer großen Anzahl von Turn – Kletter sowie Sportgeräten, gab es auch genügend Figuren aus der Phantasie – und Märchenwelt zu sehen. Ob nun Ritter in einer Burg, Piraten auf einem Schiff oder Indianer in einem Wigwam, jede Station hatte ihren eigenen Reiz. Die dargestellten Szenen ließen keine Wünsche oder Fragen offen.
Auch die reichhaltigen Gerätschaften,an denen sowohl Kinder, als auch Eltern nebst Großeltern ihre körperliche Fitness unter Beweis stellen konnten,hatten die Aufmerksamkeit vieler, wenn auch nicht aller Besucher auf sich gezogen. Neben einer Großrutsche, die mittels Kokosmatten genutzt werden durfte, einem Trampolinfeld, das auch das Gewicht von Erwachsnen mühelos aushielt, gab es noch allerlei Klettergerüste, an denen sich ausgetobt werden konnte.
Nach einer kulinarischen Stärkung in form eines gut zubereiteten warmen Essens, ging der Weg weiter in den eigentlichen Märchenwald. Hier warteten – von einer elektrisch abrufbaren  Tonkonserve in Kurzform erzählt – eben jene bekannten Märchen,die wir allesamt kannten.  Nicht reißerisch dargestellt, sondern kindgerecht in Form von Holzfiguren sichtbar,gaben sich jene vielen Märchen ihr Stelldichein.
Nach mehr als 4,5 Stunden hatten wir unseren Besuch beendet. Noch während der Heimfahrt gab es viel zu erzählen: aus dem Märchenwald von St. Georgen. Die Kinder fragten aus ihrer Erinnerung, um noch einmal bestätigt zu bekommen,dass sie eben jene Dinge genauso geshen hatten,wie Kinder sie tatsächlich sehen sollte: aus einem Märchen natürlich. Ich erinnerte mich eher an Nebensächlichkeiten, den teilnahmslos mit gehenden, wesentlich jüngeren Eltern, die ihren Nachwuchs auch dort eher verwalteten, den zum Teil übergewichtigen Eltern, die sich schnaubend auf den Holztreppen nach oben wuchteten,um dort ungelenkt die Großrutsche zu nutzen und die eher freudlosen Gesichtsausdrücke der vielleicht genervten Elternteile,wenn sie sich außerhalb der gastronomie bewegen mussten. Mag sein, dass die Fast Food-Fans unter ihnen, jene zuviel angelegten Pfunde nur schwerlich verbergen konnten, wenn es darum ging, dem Nachwuchs als Vorbild in Sachen Fitness zu dienen, mag auch sein, dass eben die Elterngenerationen nach mir, keine Grundkenntnisse in der Phantasie – und Märchenwelt von einst mehr besitzen, mag aber auch sein, dass ein gerüttelt Maß an Egoismus, die kindlichen Bedürfnisse jeneseits der virtuellen Welt von PC,Internet und TV einfach ausblendet oder schlichtweg ignoriert.
Märchen sind für mich ein wunderbare Relikte aus den Tagen, als vieles zwar nicht besser, dafür aber anders war.      

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