Die " Tante Ju " - Johnny Winter - der große Regen: Eine Nachlese zu einem denkwürdigen Auftritt in der sächsischen Landeshauptstadt.





(c)Masahiro Sumori-WIKIPEDIA

Wenn ältere Männer sich noch einmal selbst beweisen wollen, dann geht das - manchmal - voll in die Hose.Gemeint ist hier nicht die berühmt, berüchtigte Inkontinenz, die bei dem "starken Geschlecht " ab Mitte 40 aufwärts auftreten kann. Auch das post-adoleszente Fehlverhalten, sich nach einem oder mehreren Versuchen, eine - dann eher disharmonische - Zweisamkeit mit dem -vermeintlich- "schwächeren Geschlecht " aufzubauen ( besser wäre hier zu sagen: ertragen zu müssen ), dann einem Selbstverwirklichungstrip ( to break out, Motorrad-Manie oder Körper verunstaltender Jugendwahn ) erlegend, einer Partnerin zu verschreiben, die das Altersniveau der eigenen Tochter locker unterschreitet,  ist hier nicht gemeint.

Nein, es sind jene Ausprägungen des " es Allen und Jedem nochmal zeigen zu wollen ", die die Triebfeder ihres Handels darstellt. Musiker, besonders Berufsmusiker neigen auch dazu. Vor allem dann, wenn sie längst den Zenit ihrer Popularität überschritten haben, der Zahn der Zeit an ihnen ständig nagt und der eigene Namen sich längst in Schall und Rauch aufgelöst hat. Zu jener Erscheinung zählt dann auch, dass die vormals gut verkauften Tonträger, nun wie Sauerbier in den ungezählten Shops angeboten werden; sie aber sich partout nicht an den Mann/ die Frau bringen lassen.

Es gibt aus dem Genre der Rock & Roll-Musik und seiner vielen Ableger genügend Künstler, die es aufgegeben haben, sich selbst und die verflossenen Jahre zu betrauern und ihren Beruf dann nicht mehr ausüben. Andere verdingen sich als Studiomusiker, Produzent oder üben eine völlig andersartige Tätigkeit aus.
Das Leben ist keine Einbahnstraße, die geradeaus verläuft. Häufiger sind Kehrtwendungen erforderlich, um sein angestrebtes Ziel dann doch zu erreichen - sofern es ein Solches gibt.

Als am 23. Februar 1944 Beaumont, einem kleinen Örtchen im texanischen Süden ein gewisser John Dawson Winter III geboren wurde, befand sich Amerika erneut im Krieg, im II. Weltkrieg, der fernab im Pazific und in Europa stattfand. Die familiären Wurzeln des John Dawson Winter III liegen in Leland, einem Kaff im südlichen US-Bundesstaat Mississippi ( diesem unausschreiblichen Namen ), in dem sein Großvater einst als Erdenbürger mit diesem Namen das Licht der Welt erblickte. Johnny Winters Vater verdingte sich als Soldat und zog eben nach seiner Geburt in den Krieg.


http://www.yee.ch/winter/winter_bio.html

In dem Rocklexikon von Barry Graves und Siegfrid Schmidt - Joos ( rororo Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1990, Bd. II, S. 866 ) wird als Geburtsort allerdings Leland angegeben. Nun, das sind allenfalls Marginalien, denn entscheidend ist eher das, was über Johnny Winter im folgenden beschrieben steht:

"..., wurde im November  1968 von " Rolling Stone " in einem Rock-Report über Texas als " ein hundertunddreissig pfündiger, schielender Albino mit langem, fließendem Haar, der so ziemlich die flüssigste Gitarre spielt, die man jeweils gehört hat... " erkannt.
( a.a.O. )

Seit dem sind mehr als 4 Dekaden vergangen. Der Weg des Johhny W. ist gepflastert mit einer Vielzahl von Tonträgern, Tourneen und öffentlichen Auftritten. Er hat einst seinen Stil aus dem Repertoire von Bluesgrößen wie Muddy Waters oder " Howlin'Wolf " heraus gearbeitet. Letztendlich aber jene  Blues-Adaptionen, insbesondere seine Eigenkompositionen, in dieser unnachahmlichen Art des Gleichklangs zwischen seiner Gitarre und der Band, genauso stilvoll und fließend herüber gebracht, wie die dann eher mit sparsamen Figuren besetzten Rock & Roll-Klassiker. Diesen Interpretationskriterien blieb er auch bei Zusammenarbeiten mit eben diesen Bluesgrößen treu.

Johnny Winter, dass ist kein Star im herkömmlichen Sinne, kein von sich selbst überzeugter Bluesinterpret, dessen " Showmanship" noch zusätzlich mit gigantischer Technik hervor gehoben werden muss. Er hat vor vielen Jahren dazu selbst seinen ureigensten Anspruch formuliert: " Ich würde niemals die Musik der Show wegen opfern."
( a.a.O., S. 867 ).

Dieser eherne Grundsatz wird auch in jenen Jahren, den frühen 70er bis Endsiebzigern ohne jedwede Einschränkung von ihm beibehalten. Auch dann noch, als er in den riesigen US- amerikanischen Stadien, den Bowls, den Betonschüsseln vor 30.000 bis 70.000 Besuchern aufspielte.
Die Alben " Johnny Winter And.. Live " und " Captured Live " bestätigen dieses eindrucksvoll.

Wir schreiben das Jahr 1976. Der Sommer verabschiedete sich auch in der Stadt am Jadebusen, in Wilhelmshaven. Mit den kürzer werdenden Tagen saß ich häufiger in meiner Studentenbude in der Waagestraße und las "SPIEGEL", hörte Musik und rauchte selbst gedrehte Zigaretten aus den Tabakbeuteln der Marken " Drum ", " Samson " oder " Van Nelle ". Mit viel Glück und einigen technischen Kniffen konnte ich den amerikanischen Soldatensender AFN empfangen. Das ITT Schaub-Lorenz Kofferradio hatte eigentlich einen gutes MW- Empfangsteil. Der Sender, der die US-Besatzungseinheiten als Vollprogramm mit Country & Western - Musik, den aktuellen Charttiteln und ab 0.00 Uhr bis in die frühen Morgenstunden mit Rock-Stücken bei Laune halten sollte, stand zwar in Garlstedt, einem Nest zwischen Bremen und Bremerhaven, dass einst Garnisionsgröße aufwies, dennoch gelang es mir ihn ab und zu heranzuziehen. 
Mehr Glück hatte ich mit dem AFN-Sender in Bremerhaven, der eine Programmstruktur aus AFN-Europe, den - meist im Süden der BRD - ansässigen bundesdeutschen Radiostationen und lokalen Sendungen aufwies. AFN-Bremerhaven war in Wilhelmshaven bei guten Wetterbedingungen auf MW störungsfrei zu empfangen.

http://www.mysnip.de/forum-archiv/thema/8773/95048/AFN+Garlstedt+-+Erinnerung+an+damals.html

An einem jener Radioabende hörte ich die " Captured Live " von Johnny Winter. Der damalige Disc-Jockey hatte " Highway 61 revisted " ausgesucht und lies das Stück voll durch laufen. Ich war hin und weg. Ein irrer Gitarrensound - wenn auch nur in mono - dröhnte aus dem Kofferradio. 
Ich erkannte sofort, dass es Johnny Winter war, der dort Bluesrock in den Äther zauberte. Johnny Winter war mir längst aus den frühen 70er Jahren ein Begriff, als ein damaliger Azubi-Leidensgenosse eben jene Doppel-LP mit brachte, auf der sich klasse Stücke, wie " It's my own fault ", " Mean town blues " oder - natürlich - " Johnny B. Good "befinden.

Sichtlich beeindruckt von der " Dylan " - Adaption erwarb ich einige Tage später die " Captured Live " von Johnny Winter. Das ist nun 35 Jahre her. Eine lange Zeitspanne in der sich auch das Leben der Bluesgröße verändert hat. Von seinem Auftritt im " Rock Palast " habe ich ja schon geschrieben. Ein unvergessenes Ereignis.

Zu Beginn der 90er erwarb ich dann in Middelburg, einem Städtchen in den Niederlanden, am Nordseestrand, eine erste CD von Johnny Winter mit dem Titel "The Winter of '88 ", heraus gegeben in jenem Schnapszahljahr, in dem sich die erheblichen Drogenprobleme des mittlerweile 44 Jährigen auch durch depressive Phasen manifestierten. Johnny Winter war dann sehr lange weg vom internationalen Musikmarkt.Über 10 Jahre brachte er dann kein Studioalbum mehr heraus.
Die 90er verflogen und die Nachmillenniumzeit begann. Der mittlerweile 60jährige Blueser trat wieder auf. Er gab 2007 im Rahmen einer " Rock Palast " - Veranstaltung neben den Gitarristen und ihren Bands Rick Derringer und seinem Bruder Edgar ein phantastisches Konzert in Bonn.

Seit geraumer Zeit tourt er nun wieder und so auch in der Bundesrepublik:

am 21. in Osnabrück
am 22. in Wuppertal
am 23. in Aschaffenburg
.......

Am 26. trat er bei " Tante Ju " in Dresden auf.

Tja, da standen wir nun und harrten der Dinge, die noch kommen werden. Es war natürlich noch heller Tag, als ich meine Eintrittskarte in den Händen hielt. Nun gut, 38,-- € sind kein Pappenstiel. Wenn ich mir dagegen die Tarife der hoch gejubelten Künstler, wie Lady Gaga, Madonna oder den Nicht-Sänger Herbert Grönemeyer betrachte, ist der Preis noch moderat.

Gegen 20.00 Uhr erschien dann auf der Bühne die Vorgruppe.
" Hundred Seventy Split " besteht aus Leo Lyons, dem Bassisten von " Ten Years After ", Joe Gooch, der dort statt dem genialen Alvin Lee die Gitarre spielt und Tanner Jacobsen am Schlagzeug.
Die Formation stellte Stücke aus dem 2010er Album " The world don't stop " vor. 

  • The World Won't Stop
  • Where The Blues Began
  • No Deal
  • Poison
  • The Smoke
  • All My Yesterdays
  • Let The River Flow
  • A Promise Is Forever
  • Yes Man
  • Going Home
  • Wish You Were At Woodstock?

Auf der CD sind sie in folgender Besetzung zu hören:



  • Bass - Leo Lyons
  • Gesang - Joe Gooch
  • Gitarre - Joe Gooch
  • Keys - Billy Livsey
  • Schlagzeug - Tanner Jacobsen, Sean Fuller



http://www.hundredseventysplit.com/gigs.htm

Blues-Rock vom feinsten. Der erfahrene Leo Lyons am Bass und der virtuose Joe Gooch an der Gitarre, begleitet von Tanner Jacobsen am Schlagzeug spielten jene Musik, die von den überwiegend älteren Besuchern erwartet wurde und dort beliebt ist. Ein klarer, knackiger Sound kam allerdings erst nach dem einsetzenden großen Regen gegen 21.00 Uhr herüber, weil die Hochtöner des rechten Kanals der Musikanlage ausgefallen waren. Joe Gooch hat eine prägnante rauchige Stimme mit der er sein Gitarren- Feuerwerk untermalt.
Der scharfe Bass von Leo Lyons stellt sich bei vielen Titeln nicht nur als reine Begleitung dar, sondern füllt die Gitarrenfiguren von Joe Gooch auf.

Blues-Rock für Feinschmecker eben!

Schade, das der Regen die sich gerade warm spielenden Band unterbrach.

Gegen 21. 45 kam Mr. Johnny Winter auf die Bühne. Es war inzwischen frisch geworden, denn der Platzregen hatte die Temperaturen auf dem Gelände der " Tante Ju " merklich in den Keller gehen lassen. Das tat der hohen Erwartungshaltung und der guten Stimmung, die von den ca. 600 Besuchern ausguíng keinen Abbruch. Waren es schließlich überwiegend ältere Herren mit grauen Haaren, eisgrauen Bärten und einem beachtlichem Leibesumfang, der sich dann als Puffer gegen die nach vorne drängende Menschenmenge auszahlte, die den Alt-Meister auf der Gitarre sehen und hören wollten.

Schon eine geraume Zeit vorher hatte ich mir die Besucher etwas näher angeschaut und erkannte mich nur zum Teil wieder. Vielleicht liegt es daran, dass bei mir der Bierkonsum stark reglementiert wird und die Essgewohnheiten sich größtenteils auf fleischlose Kost reduziert, die zudem nicht in gigantischen Mengen hinein geschaufelt wird. Wie dem auch sei, die Fans, Gäste und Konsumenten holten sich Flüssignahrung zur Einstimmung in rauhen Mengen. 

Dass Blues-Rock nichts für die Generation " Arschmade " bis Golf II ist, dürfte so unstreitig sein, wie die Feststellung, dass nicht jeder, der sich zum Schreiben berufen fühlt, dieses auch kann. So habe ich beim Recherchieren nach Material für diesen Post einen Artikel aus dem Berliner Tagesspiegel einlesen können, der bei mir - nach de ich ihn bis zur bitteren Neige herunter gescrollt hatte - nicht nur ein heftiges Kopfschütteln hervor brachte, sondern darüber hinaus ein Würgegefühl.

Da schreibt ein gewisser H.P. Daniels am 05.05.2011 folgende Konzertkritik:

http://www.tagesspiegel.de/kultur/pop/johnny-winter-im-kesselhaus/4139304.html

Tja, vielleicht hat er diese unter dem Einfluss  halluzinierender Mittel in seinem Laptop herein gehauen, denn den Johnny Winter, der von ihm beschrieben wird, habe ich in Dresden nicht gesehen. Wie dem auch sei, Meister Daniels hat seinen Verriss nicht unkommentiert ins Netz stellen können. Das er von Musik etwas verstehen könnte, sagt bereits ein Abschnitt seiner eigenen Vita aus: 

H. P. Daniels war von 1981 bis 1991 Frontmann, Sänger und Gitarrist der Escalatorz. Aktuell schreibt er Konzerberichte für den Tagesspiegel und Kurzgeschichten, mit denen er bei Lesungen auftritt. Gelegentlich spielt er in Trio-Besetzung als Daniels, Beam & Walker Rockmusik - unplugged.
Ich berücksichtige hierbei noch - und dieses eher strafmildernd -, dass Daniels als aktiver Musiker eigene Kollegen grundsätzlich kritischer betrachtet, als es vergleichsweise bei den Nur- Musikkonsumenten der Fall sein könnte. Dennoch: Daniels sollte das Kritikschreiben lieber unterlassen,denn die Qualität seiner vorlegten Artikel ist unterirdisch.

Das Konzert von Johnny Winter, welches er genau 3 Wochen zuvor in Berlin gab, unterschied sich vom Titelrepertoire nur unwesentlich von dem gesehenen in Dresden's " Tante Ju ". Die Formation, mit der sich der Blues-Rocker aus den USA hier vorstellte war die Gleiche, wie zuvor in Berlin.
Allerdings habe ich das Gehörte in anderer Erinnerung.
Johnny Winter & Band spielten jenen treibend kraftvollen Sound, der ihn auch mit anderen Begleitmusikern Jahre, ja Jahrzehnte zuvor auszeichnete.
Sicherlich, der 67jährige ist nach schwerer Krankheit, im Zusammenhang mit seinen angeborenen Albinismus nicht mehr der Alte, er wird es auch nie mehr sein, trotzdem kam seine Stimme klar und verständlich herüber. Dass er nie der große Sänger war, ist längst bekannt. Dafür singt seine Gitarre so, wie es in Tagen der Fall war. Auch wenn die gespielten Stücke sich nicht mehr von jener Improvisationsgabe her erkennen lassen, so bleibt sie unveränderlich und unverkennbare als typische J.W.-Titel in Erinnerung.

Nein, Herr Daniels der obige Totalverriss ist nicht hinnehmbar, denn den Johnny Winter, den ich gesehen habe, würde ich auch nach über 4 Dekaden des Hörens seiner Tonträger jederzeit und an jedem Ort der Welt sofort wieder erkennen.
So zeigt sich denn jene Konzertkritik, die ich als Pendant zu dem Daniel'schen Pamphlet und eben jener Schmähkritik zu dem Winter-Konzert aufgetan habe, als der Wahrheit eher entsprechend: 

http://www.zeit.de/kultur/musik/2011-05/johnny-winter-berlin

Und damit sei dem immer noch tourenden Johnny Winter 2011 jene Gerechtigkeit widerfahren, die einem wahren Könner seines Fachs auch im Alter gebührt.
Johnny Winter am 26.05.2011 bei " Tante Ju " in Dresden war trotz - oder gerade wegen - des einsetzenden Regens ein einmaliges Erlebnis und nur für wirkliche Hard-Core-Fans gedacht, da beißen auch die Daniel 'sche Schmähungsversuche der Maus keinen Faden ab.

Kommentare

Henrik Schäfer hat gesagt…
Danke für das "Geraderücken"!.Es ist wichtig solchen inkompetenten Schreiberlingen wie H.P. Daniels stets gegenüberzutreten.
Alt werden wir alle. Doch ob wir in diesem Alter unsere Arbeit auch noch so gut machen wie Johnny Winter ist doch sehr unwahrscheinlich. Daher war es auch für mich als Augen- und Ohrenzeuge in Dresden ein stark beeindruckendes Erlebnis.

Henrik Schäfer

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