Der 9. November 1989, ein Tag der Freude?



Schon ab den frühen Morgenstunden hämmert der Satellit des Bayrischen Rundfunks, MDR Info, es in den Nachrichten, Kommentaren und Berichten auf den Zuhörer ein: Vor 20 Jahren fiel die Mauer! Ein Stück der deutsch-deutschen Historie verschwand damit auf unspektakuläre Weise, noch ehe sie sich selbst und den sich dahinter versteckenden Staat erneut feiern durfte. Mit den Jubelarien, den Freudentränen und der von Amts wegen legitimierten Sachbeschädigung im Zusammenhang mit der Hackorgie an, auf und rundum den " Antifaschistischen Schutzwall ", dem " Anti-Imperialistischen Schutzwall ", der " Anti - Imperialistisch - Anti - Faschistischen Staatsgrenze " ging dann sukzessive ein Stück eines wohl einmaligen Experiments die Elbe, Saale, Werra herunter.
Was bleibt sind die ernüchternden Fakten, mit denen der Große Bruder, die einst offizielle verhasste BRD, dem kleineren deutschen Verwandten in der Folgezeit aufzeigte, wo es zukünftig entlang geht.

Ich blende meine eigene Biographie um 20 Jahre zurück. Wir schreiben also den 09. 11. 1989. Die neo-belichteten 80er mit ihren gesellschaftlichen Entwicklungsabarten, wie der CDU/FDP-Koaltion unter dem Oggersheimer Kohl, dem Außenminister Genscher, der Flick-Spendenaffäre, den arschlöcherigen Poppern und ihrer auf Konsum fixierten ebensweise, der NDW mit samt ihren textlichen Nonsens und einfältigen Melodien auf noch einfacheren Instrumenten, sie neigen sich langsam aber sicher dem Ende zu. Eigentlich viel zu langsam!

Die Endachziger bedeuteten für den Sprung in die Selbständigkeit, in das Freiberuflertum, in die Anwaltschaft. Ein wagemutiger Entschluss, der schon damals mit tagtäglichem Kampf ums Überleben verbunden war. Es gab bereits 84.000 zugelassene Kollegen/Innen in der BRD - Tendenz steigend.
Die sich in diesem Haifischbecken der BRD-Wirtschaft abspielenden Verteilungskämpfe waren unglaublich. Eine Schattenseite des so hoch gelobten freien Marktes zeigte dem sich als jungen Anwalt versuchenden sehr schnell die Grenzen der eigenen Berufsfreiheit auf.

Als dann im Verlaufe des 09. 11. 1989 die ersten Fernsehbilder von der historischen Pressekonferenz mit Schabowski in der Tagesschau gezeigt wurden, konnte ich nach den Mühen des Tages und von ihnen geschafft, nicht sehr viel damit anfangen. Ich hatte andere Probleme, Sorgen und Lebensinhalte, für die ich gerade stehen musste, die ich zu lösen hatte und denen ich die Priorität gab. Die Grenze zur DDR war für mich weit weg. Sie war mir überwiegend nur durch die Medien bekannt. Die ungezählten Reportagen, die SPIEGEL-Artikel, die Nachrichten in der Tagesschau. Die Springerśche Hetzpostille, die " BLÖD "-Zeitung schrieb die DDR immer noch mit Anführungszeichen. Für mich war ihre Existenz jedoch längst Realität. Mit der Wiedervereinigung und anderem, in die gleiche Richtung zielenden Brimborium hatte ich - schlich gesagt - nichts am Hut.

Nun kam es doch ganz anders. Die Menschenmassen am Brandenburger Tor und die Freudentaumelbilder - was für ergreifende Aufnahmen! So langsam habe ich dann erfasst, was da wirklich ablief. Es schien so, als würde schon bald etwas völlig Neues auf uns in der BRD zukommen. Eine neue Zeitrechnung - leider mit dem Schwachkopf Kohl!

Mein einstiges Vorbild, Willy Brandt formulierte es in seiner Rede: " Dies ist ein schöner Tag, nach einem langen Weg. " und später: " Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört. " Nun, es dauert wohl noch weitere 20 Jahre, bis es wirklich ein zusammen gewachsenes Gebilde ist, dass sich Germany nennt und in der internationalen Staatengemeinschaft seinen Platz gefunden hat.

Noch gibt es viele Vorbehalte, die es gilt auszuräumen. Es gibt noch gravierende Divergenzen innerhalb der Bundesländer, was die wirtschaftliche Seite betrifft. Es sind aber - leider - noch genügend Vorurteile auf beiden ehemaligen Seiten vorhanden. Die Euphorie von einst ist längst verflogen. Bei den Protagonisten der ersten Stunde ist die Ernüchterung eingekehrt. Viele Pläne, ein anderes, ein gemeinsamen Land auch im einstigen DDR-Gebiet aufzubauen, sie sind zerstoben. Es sind aber auch Projekte umgesetzt worden, auf die die jetzige Bundesrepublik Deutschland mit einem gewissen Quantum an Stolz zeigen kann.

Noch gibt es viele Bereiche, innerhalb derer ebenso viel verändert werden muss. Bis zum nächsten Jahrestag des Mauerfalls wird dieses sicherlich nicht zu bewerkstelligen sein. Vielleicht bis zum 25. oder 30. Jubiläum.
Die Chance, einen besseren, einen gerechten Staat zu formen, sie ist zwar noch nicht vertan worden, dennoch muss aus den vielen Fehlern der Vergangenheit gelernt werden.

Als ich etwa ein 3/4 Jahr später während eines Kurzaufenthalts in der Lüneburger Heide bei Salzwedel die ehemalige Grenze überfuhr, fühlte es sich noch so an, als hätte ich einen anderen Planeten aufgesucht. Auf der Seite der - ab dem 03. 10. 1990 - einstigen DDR sah es grau und trist aus. Selbst die Steckrüben - und Runkelfelder hatten eine andere Farbe; auch waren die DDR-Rüben kleiner. So fuhren wir denn mit mäßigem Tempo in Richtung Salzwedel. Die B 71 war zumindest auf der BRD-Seite gut ausgebaut. Je näher wir der jetzt offenen Staatsgrenze kamen, desto trostloser wurde es. Die Lüneburger Heide ist sicherlich kein Gebiet, um dort zu lange zu verweilen. Neben den eisntigen Militärübungsplätzen, gibt es dort auch solche unwirklichen Stätten, wie Gorleben. Die einstige Trostlosigkeit setze sich nicht nur fort, nach dem wir die Stadt schon vor unseren Augen sahen, sondern verstärkte sich zunehmend.
Salzwedel war nicht nur öde, sondern die Häuser zeigten sich iin einem erbärlichen Zustand. Die Wege und Straßen waren es ebenfalls.

Am Stadteingang beobachteten wir eine Kleinkindergruppe mit den Betreuerinnen und zwei Holzbollerwagen, in denen die Kinder saßen. Mit ungläubigen Staunen wurde unsere Weiterfahrt von den Erwachsenen begleitet. Wir kamen wohl in diesem Moment vom anderen Planeten. Das BRD-Autokennzeichen hat uns eh verraten. Was " HB " bedeutet, wussten vielleicht nur einige der dann Angesprochenen, wo wir das Gestüt Salzwedel finden konnten, wurde uns dann aber doch freundlich beschrieben.

Die Tage nach der Wiedervereinigung waren holperig, so holperig, wie einst die Fußwege und Straßen, die Verständigungsversuche und die Hilfen in den folgenden Jahren. Nach ist nicht zusammen gewachsen, was eigentlich zusammen gehört. Immerhin gibt es keine Paßkontrollstellen und jene Horden an Uniformierten, die eher Angst, denn Sympathie einflößen konnten.

Nach einem etwa 1 stündigen Aufenthalt verließen wir die Stadt und fuhren zurück in die etwas schmuckere Provinz. Der August 1990 war in seiner letzten Woche heiß. Die Sommerhitze stand auf dn längst abgeernteten Feldern.
Als wir am Freitagnachmittag wieder nach Bremen zurück fuhren, regnete es aus Eimern. Der erste Sommer nach der viel zitierten Wende verabschiedete sich naß und kühl, so wie die vielen Jahre danach für viele Bundesdeutsche sich auch entwickeln würden.

Kommentare

Octapolis hat gesagt…
Und wenn´s nicht so gekommen wäre, würden wir uns heute nicht an dieser Stelle die Hucke vollbloggen. Du würdest immer noch im Weser-Stadion hocken und wir Tschechien für die große weite Welt halten, hehe...
Nun ist es aber so gekommen und wir haben momentan nahezu täglich ein zwanzigjähriges Jubiläum zu feiern. Obwohl manchmal eine Art Mythenbildung einsetzen zu scheint und gerade bei den gestrigen Feiern am Brandenburger Tor offenbar ein paar Leute feierten, die damit weniger zu tun hatten. Aber sei´s drum. Wenigstens war Guido Knopp nicht zu sehen... Ach so, wo war eigentlich Klaus Meine und vor allem was macht David Hasselhoff?
Lobster53 hat gesagt…
Octa, so is'ses! Der Zeitpunkt vom Beginn des Endes des zweiten deutschen Staates war dennoch eher überraschend. Die Altherrenriege und ihre Illusion von einer besseren Gesellschaft war eben ur-germanisch: zäh wie Lederr...
Nun, ich erinnere mich noch henau an das " SPIEGEL " - Interview mit Michael Garbatschow, als er "Rudi" Augstein und zwei weiteren Kollegen des Magazins die Begriffe " Perestroika " und " Glasnost " näher brachte. Wer seine Ausführungen ganz genau gelesen hat, konnte ansatzweise erkennen, dass damit ein sukzessiver Wandel in der UdSSR-Politik eingeläutet wird. Dass sich dieses innerhalb von einigen Jahren vollzieht, war allerdings nicht voraussehbar. So hatte ich zumindest in den Jahren nach der Maueröffnung, einige Male die Gelegenheit die - oft - apolitischen Seiten der Ex-DDR sehen zu können. Und....ich bin zum Sachsentum konvertiert.
Jenseits des Knopp'schen Historien-Schwachsinns im ZDF, gabś aber auch einige - wenn auch zum x-ten Male wiederholte - gute Sendungen zu begaffen. Auch über die Protagonisten der ersten bzw letzten Stunden, die ungezählten Künstler, die sich auf den fahrenden Zug nach Nirgendwo aufsetzten. Hasselhoff, der " Kit " - Knight-Rider und Marlibu-Silicon-Rettungsschwimmer der 80er, er ist in jenem Jahr mit seinem Freiheitssuch-Lied bereits vor dem November in den Charts herum gegeistert. Na, war nicht mein Geschmack! Dann spielete er in den 90er in einigen Nonsens-Filmen mit, versuchte sich gleichfalls mit Musik und soff. Es folgten wohl einige Therapien, dann ein müdes Comeback. Nach meiner Kenntnis schwirrt er auf diversen Wohltätigkeitsveranstaltungen herum.
Der gute " Klaus ", den ich seit den späten 60er als " Scorpion " kenne, dessen Truppe ich x-fach live begutachten konnte ( die sind absolute "klasse ")hat sich immer noch nicht in die Rente begeben. Vor einigen Wochen rockte er bei einer Boxveranstaltung in der ARD. Seine " Wende " - Nationalhymne " winds of change " wurde ja weit vor dem Mauerfall komponiert und sollte die Umwälzungen in der Sovjeetunjon musikalisch darstellen. Es gibt bessere Titel, bessere Alben und eine wesentlich bessere " Scorpions " - Formation. Demnächst mal mehr dazu.

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