Drum lasst es Freunde, mich einmal sagen: " Schön wieder hier zu sein, schön euch zu sehn!" - Wenn eine 68er-Ikone in die Jahre kommt.




Ein zufälliger Griff in mein CD-Archiv unter dem Buchstaben " W ", brachte sie wieder an das pralle Tageslicht: Die Doppel-CD " Mey - Wader - Wecker - Das Konzert ". Das diese CD sich zu einem Juwel in meiner immer größer werdenden Sammlung mausern würde, konnte ich damals noch nicht so richtig abschätzen. Damals, das war das Jahr 2003. Der EURO als neues Zahlungsmittel hatte bei mir immer noch nicht die volle Akzeptanz erlangt. Ständig rechnete ich die längst üblichen Preise in Deutsche Mark um. Warum eigentlich? Es mag wohl an den medial eingestreuten Vorurteil des EURO=TEURO gelegen haben, dass sich allerdings nicht überall als wahr entpuppen sollte.

Tja, im Jahre 2003 also, ich steuerte unwiederbringlich meinem 50ten an, war ich Stammkunde einer Filiale des einstigen " PRO-Marktes ", einer lokalen Kaufhauskette für Elektronikartikel, in Bremen-Huchting. Genauer gesagt im " Roland - Center ". Einem jener verführerischen Konsumtempel, die - oft jenseits der Stadtzentren, in den frühen 90er hoch geklotzt wurden und deren Beton fester Charme, nur zum vorübergehenden Verweilen einlädt. Bremen-Huchting war mir ansonsten nur dadurch bekannt, dass es ein Stadtteil mit vielschichtigen sozialen Verwerfungen ist, deren Bewohner zwischen der einstigen Bandbreite von unterbezahltem Job, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und sehr oft Sozialhilfe dahin vegetieren. Die Neubauten mit ihren zweckdienlichen Baukastenstrukturen und jene Straßen, die sich - häufig verkehrsberuhigt - an Namen, wie " Amsterdamer Straße, Flämische Straße " oder " Zwoller Straße ", fest machen lassen, aber auch an die Bewohner angrenzender Stadtteile, wie " Kirchhuchting, Mittelshuchting oder Brokhuchting ", die als Starßennamensbestandteil dann in " Mittelshuchtinger Dorf - oder Landstarße " einmünden. Nun, Huchting ist nicht das Vorzeigeplanquadrat des bremischen Bauesens. Dennoch mit einem gewissen Flair behaftet.

So stand ich denn irgend wann im Juni 2003 vor einem jener CD-Regalreihen, die - damals noch nicht endent wollend - durch mischt mit unterschiedlichen Interpreten aus verschiedenen Dekaden des Schaffens und der Musikrichtungen, ordentlich eingeordnet und bepreist, mich zum Kauf anhimmelten. An manchem Wochende waren es denn schon einmal 80,-- bis 90,-- Euro, die an der Kasse zu berappen waren. Überwiegend durch CD-Käufe verursacht.
Da fiel es mir nicht schwer, auch 17,99 € für die - eher zufällig in der Rubrk " Deutsche Interpreten - leicht versteckte Doppel-CD mit dem mir längst bekannten Künstlernamen " Mey-Wader-Wecker " in die Hand zu nehmen.

Reihard Mey, ein Liedermacher der 68er Grade, den ich damals - in den späten 60er - geflissentlich ignoriert habe, weil er mir mit seinen folkloristischen Singsang - ob nun in deutsch oder französisch - gewaltig auf den Zeiger ging,wurde für mich erst interessant, als ich längst jenseits der 40 dahin vegetierend, seine Texte genauer las, seinem - oft endlosen - Live-Konzert-Vorträgen zu einem Stück dann, doch genauer zuhörte und seine Spielkünste auf der akkustischen Gitarre als wirklich gut empfand. Reinhard ist inzwischen zu einer Institution des deutschsprachigen, folkloristischen Genre geworden.
Seine wirklich exzellente Liedmischung von apolitischen Alltagsgeschichten, menschlichen Unzulänglichkeiten und zwischenmenschlichen Malörs, ist mir eigentlich erst so richtig bewusst geworden, als er längst über 30 Jahre Bühnenerfahrung auf dem Buckel hatte. Erst Mitte der 90er - die Vinylscheibe hatte längst ihren Abgesang verzeichnet - begann ich, mir einigen Toträger von Reinhard ( nach ) zu kaufen. Ich habe es bis heute nie bereut.

Zu Hannes Wader könnte ich über Stunden schreiben. Er hat für mich bereits in den - dann sehr bewegten - 70er Jahren mit seinen provozierenden Politliedern, dass an Liedermachern wider gespiegelt, was sich einst auf Burg Waldeck ein Mal im Jahr zum Austausch traf. Hannes war nicht nur Kommunist, nein, er war auch so widersprüchlich, dass er bei vielen Fans aneckte. Ob nun der - nach seinem Riesenerfolg mit der LP " 7 Lieder " vorgenommene Kauf einer Windmühle in Nordfriesland oder der Eintritt in die Deutsche Kommunistische Partei ( DKP )oder seine Beinahe - Verhaftung in Hamburg, als er seine Wohnung für wenige Tage der RAF-Ikone Gudrun Ensslin - jedoch unwissend - überließ. Dieses waren nun einmal Indikatoren für seinen Freigeist, seinen Nonkonformismus und den gesungen Hass gegen die Herrschenden und die Ungerechtigkeiten in diesem, unserem Land.

Der dritte im Bunde ist Konstatin Wecker. Auch er, wenn auch um einige Jahre jünger, als die beiden Erstgenannten, hat sich dem politischen Lied verschrieben. Auch er singt gegen jene Mißstände in der Welt, auf den einzelnen Erdteilen und in der BRD, die vielen zwar bekamt, jedoch wohl offen - sichtlich egal geworden sind. Konstantin Wecker ist in seinem bisherigen Leben auch schon so manche Achterbahn gefahren. Ob nun durch seine Zeiten in der Münchner Schickeria, seine damit verbundene Kokainsucht oder den rapiden Zerfall seines privaten Fundaments; all diese Rückschläge haben ihn jedoch nicht angefochten. Er bleibt seiner kritischen Einstellung zu unserer Gesellschaft und der hier bestehenden Staatsform treu. Er besingt dazu die menschlichen Schwächen, die durch bestimmte Zwänge noch verstärkt werden. Seine Lieder sind nicht seicht, nicht zum Mitsingen und Mitklatschen. Das ist gut so, denn sonst würde er in das Alt-68er-Duo Mey und Wader nicht hinein passen.

Als dann am 23. Juni 2002 die drei Liedermacher ein Konzert zum Anlaß des 60. von Hannes Wader gaben, kam es nicht von ungefähr, dass dieses einmalige Ereignis ausgerechtnet in Bielefeld statt fand. Hannes Wader, besser: Hans Eckhard Wader, wurde nämlich am 23. 06. 1942 in dem kleinen Örtchen Hoberge-Uentrup bei Bielefeld geboren. Dieses Örtchen gehört inzwischen zum Bielefelder Stadtbezirk Brackwede und zum dort längst eingemeindeten Stadtteil Dornberge. Ein Kleinod, dass die ostwestfälische Provinz im vollem Umfang widerspiegelt. Hier stehen die Uhren seit den Endfünfzigern still. Der klerikale Hauch des katholisch Piefigen weht ständig über diese Region. Die Bielefelder sind weder großstädtisch, noch sind die Paderborner weltoffen, schon gar nicht sind es die Brackweder und ihre dörflichen Strukturen. Hier wird sehr viel auf Tradition gebaut. Trotzdem ist diese Region Ostwestfalens ein landschaftlich reizvolles Gebiet, weil sich die Ausläufe des Wiehengebirges und des Teuteburger Waldes noch so gerade die Hand geben.

Nun Bielefeld ist nicht die Mitgeburtsstätte des revolutionären 68er- Zeitgeistes, dazu sind eben jene provinziellen Strukturen und der ost-westfälische Spießer mit einem gewissen Dickschädel, zu unflexibel ausgerichtet. dennoch hat sich die Großstadt Bielefed auch in den bewegten 60er und 70er Jahren durchaus eine kleine, aber feine intelektuelle zne zugelegt, deren pseudo-linksgerichteter Touch auch über das inzwischen längst abbezahlte Eigenheim und den zum Teil erhaltenen ökologisch-motivierten Konsum-und Freizeitverhalten, durchaus hinaus geht. Eine gewisse Gruppe jener politisch link-liberalen Staatstragenden gab sich denn auch beim Jubilar, ihrem Hannes, am 23. 06. 2002, ein Stelldichein.
Der nicht zu verkennende Aspekt des Sehen und Gesehenwerdens spielte dabei auch eine nicht unerheblich Rolle. Die Eintrittskartenpreise waren zwar nicht gepfeffert und gesalzen, lagen aber durchaus im gehobenen Niveau.

So wurde denn - um die wohl höheren - Veranstaltungskosten mindestens zu decken, eine Doppel-CD von jedem Ereignis etwa ein Jahr später heraus gegeben. Verantwortlich hierfür zeichnet der PLÄNE-Verlag, unter dem Hannes seit sehr vielen Jahren seine Werke veröffentlicht. Die doch relativ lange Zeitspanne zwischen Konzert und C-Ausgabe dürfte in dem unterschiedlichen Terminen danach ihren Grund finden. Denn: Sowohl Reinhard Mey hat 2002 / 2003 eine Deutschlandtournee durchgeführt, als auch Hannes Wader zusammen mit Konstantin Wecker.
Was in Abstimmung mit dem Trio und dem sie begleitenden Jo Barnickel an den Tasteninstrumenten heraus kam, ist als ein Querschnitt des dreifaltigen Schaffens der letzten 40 Jahre zu betrachten.

Also dann:

a) Gut, wieder hier zu sein.
Das Stück wurde von Hannes Wader eingedeutscht. Im Original heisst es: " Quand on revient " und stammt aus der Feder des Texters und Musikers Allan Taylor. Hannes hat es in einer gelungenen deutschen Fassung bereits auf einer ander Live-LP eingespielt.
Die jetzige Version bietet jedoch nicht nur die Überraschung, dass sich das Stück zunächst mit dem Gitarren-Intro der beiden Mitstreiter und Freunde des Jubilars wesentlich voluminöser anhört - zumal Jo Barnickel auch seine Tasten im Spiel hat -, sondern auch gesanglich ein Leckerbissen für jeden Folkfan sein dürfte, denn es singen - abwechselnd - alle drei Barden aus voller Kehle.

Nach 3 Minuten ist der Spaß bereits vorbei. Dann spricht Hannes ein paar einleitende Worte. Der große Redner ist er ja nie gewesen. Deshalb hält er sich ganz kurz und knapp.

Mit der deutschen Adaption des Mac Davis Klassikers " Rock and Roll ( I gave the best years of my life ) " spielt sich Hannes dann in die Rubrik " Erinnerungen " hinein. Begleitet von Joe Barnickel an den elektronischen Tasteninstrumenten,läuft er bereits jetzt zur textlichen Hochform auf. " Jung war ich, der Hunger nach dem Leben übergroß."
Als Konsequenz daraus und in Ablehnung an seine ländliche Lebensidylle formuliert er dann:

" Ging fort.riß mich von Zuhause und allen Freunden los.
Kam in die großen Städte, wo ich nicht nur Freunde fand.
Damals halfen meine Träume mir oft mehr als mein Verstand. "

Wenige Worte mit einem enormen Wahrheitsgehalt.
Der Begriff " Freunde " spielt bei Hannes auch hier eine exponierte Rolle.

" Kaufte mir eine Gitarre, übte tage-, nächtelang.
Schrieb meine allerersten Lieder, die ich auf der Straße sang.
Und trug einen Ring im Ohr, auf dem ein Name stand.
Der Name eines Mädchens, eingeritzt mit eigener Hand. "

Hier kommt der Folk-Freak voll und ganz zur Geltung. Der Liedermacher, der Barde und Gitarren-Revoluzzer.

" Große Ziele, Träume, alles liegt so weit zurück,
vertane Zeit, verpaßte Chancen und oft unverdientes Glück.
Zuviel von dem, was ich mir wünschte, habe ich niemals erreicht,
und meine Lieder klingen nicht mehr so wie damals, frei und leicht.

Heute singe ich um mein Leben. "

In dem Refrain zieht er auch Bilanz. Er analysiert dabei, was einst war und was noch zukünftig bleibt.

" Den Ohrring gab mir Cisco, es ist ewig lange her.
Er, der zehntausend Lieder kannte, Cisco lebt schon lang nicht mehr.
Ist verschwunden und gestrandet in einem freien Land,
an irgendeiner Straße unbeachtet, unerkannt. "

Wer Cisco war, konnte ich bisher nicht eruieren. Ein wohl langjähriger Gefährte aus seinen eher wilden Jahren. Hannes scheint ihn dennoch nei vergessen zu haben.

" Die Jahre, die vergingen. Viele Lieder dieser Zeit,
vertraute Stimmen, sie verklingen, sind entfernt so weit, so weit.
Die Erinnerung an das Mädchen ist geschmolzen wie der Schnee.
Ich wollte es vergessen, warf den Ohrring in die See. "

Hannes konstatiert präzise, was auch vergangene Träume von einem Träumer verlangen. Wenn sie unerreicht bleiben, sollte er sie ad acta legen.

Nach dem Refrain, textet Hannes dann, augenscheinlich in der Absicht, auch zukünftig einige postive Entwicklungen im Musikerleben zu erkennen:

" Auf der Straße abseits von Verkehrslärm und Gestank,
zwischen Läden, Blumenkübeln und dem Eingang einer Bank,
warten ein paar Leute, auch ein Junge steht davor,
Singt wieder neue Lieder und trägt einen Ring im Ohr.

Und wieder lauschen Mädchen, ihre Neugier schlecht getarnt.
Wie oft schon haben ihre Mütter sie vor so einem gewarnt.
Viele gehn zugrunde, einer wird vielleicht ein Star.
Ein Traum, der heiß und lange brennt, wird manchmal sogar wahr. "

Hannes, das ist eines meiner Lieblingslieder geworden. Aller erste Sahne!


Es folgt die ein kritisch-irnonischer Rückblick auf die fünfziger Jahre in der provinziellen Enge seines Geburtsortes. " War das eine Zeit, alle Männer im Feld..". Spätestens hier wird deutlich, dass Hannes auch mit seinem klein-bürgerlichen Umfeld mehr als nur zu kämpfen hatte. Retrospektivisch betrachtet bringt er die WiWu-Dekade innerhalb der 4:23 Minuten Spieldauer exzellent unter die einstige Trockenhaube. Das indifferente Verhältnis zum anderen Geschlecht und das verbotene Tranzpendieren der eigenen Sexualität ist mehr als nur zutreffend angedeutet. Eine verlogene Zeit eben. Deshalb ja auch sein Fazit: " Schön ist die Jugend, so sorglos und frei
Gott sei Dank ist sie endlich vorbei
und sie kommt zum Glück nie mehr zurück." Wie wahr!

Mit dem Stück " Kleine Stadt ", dass durch das Klavier-Intro von Jo Barnickel leicht modifiziert wird. beendet Hannes seinen ersten Konzert-Part auf spektakuläre Weise, in dem die letzte Strophe und der Refrain im Duett mit Reinhards Mey gesungen, einen gelungenen Übergang zu dessen anschließendem Set darstellt. " Kleine Stadt " ist textlich auch ein Rückblick auf die sich radikal veränderte Umwelt. Ohne sich Hannes als der beobachtende Kritiker deshalb selbst verändert hat. Sehr schön die Schlusspassage mit Reinhard: .... und wir werden singen, doch wir fragen uns auch, wird es nach uns wohl noch jemand geben der, wenn unser Gesang erst für immer verklingt
noch unsere Lieder singt. "

Kaum ist der Applaus abgeebbt, folgt Reinhards Klassiker: " Komm giess mein Glas noch einmal ein. " Dazu braucht eingentlich nichts gesagt zu werden, ausser, dass dieser Titel - immer noch - wehmütige Remminissezenzen wach rüttelt. Die Version in Begleitung von Jo Barnickel ist ein Hightlight des Konzerts.

Während das Audium noch tobt, intoniert Reinhard auf seiner Gitarre den gesellschaftskritischen Song: " Ein Stück Musik von Hand gemacht ". Ein bissig-schmissiges Lied, dass den wahren Charakter der Realsatire voll zur Entfaltung kommen lässt. Reinhard ist textlich nie grobschlächtig, verletzend gewesen. Hierfür gibt jenes Lied ein plastischen Beispiel. Er kann seine eigenen Unzulänglichkeiten auch gerne in Reime kleiden. Sehr schön, und wahr dazu.

Das siebte Stück ist " Freundliche Gesichter ". Hier skizziert Reinhard die ersten Jahre seines Schaffens als Künstler und Poet, nach dem er sich entschlossen hatte, das BWL-Studium in Berlin endgültig an den Nagel zu hängen und statt dessen zusammen mit Hannes Wader in kleinen lubs oder auf Veranstaltungen in der Provinz aufzutreten. Er erinnert sich aber auch daran, ass diese jahre eben mehr als nur Freude mitsich brachten. Die einstigen Freunde gaben ihm den Mut, dort for zu fahren, wo er seine Karriere begonnen hatte: an der Basis.
Ein kleiner Schwenk im Text führt auch auf die ersten Treffen der deutschen Liedermacherszene auf Burg Waldeck. Dort, wo einige Kollegen von einst, ab und zu wieder hin finden.

Mit " Rencontre / Begegnungen " wird es dann etwas heiterer. Dieses zweisprachig gehaltene Lied, wird von Konstantin ś Pfeifeinlage begleitet, dazu singt Reinhard den französischen Text, so wie er es über 35 Jahre zuvor auch machen musste, weil sowohl er als auch sein Freund Hannes lediglich ein gutes Dutzend Lieder im Reportoire hatten und dieses dann manchmal nicht ausreichte. Ein melodiöses Stück, dass aber auch die seichte Seite von hannes Wader aufzeigt, die sein Kollege Reinhard Mey eh besitzt.

Mit " Im Namen des Wahnsinns " leitet dann Konstantin Wecker sein Set ein. Konstatin ist ein politischer Wachrüttler mit einer sehr oft eingebauten Endlosfunktion. Nicht alle Lieder, die er bisher zum Besten gegeben hat, vermögen meinen Geschmack zu treffen - unbequem sind sie alle Male! So auch dieses Stück. Es geht hierin u.a. um die Verletzung des Grundsatzes " Die Gedanken sind frei ". Wenn er den Überwachungsstaat anprangert, wenn er die
repressiven Staatsorgane und deren sehr oft rechtswidriges Einschreiten gegen non-konforme Meinungsträger dabei im Visier hat, wenn er den Realzustand dieses Landes im 3. Jahrtausend und im Jahre 19 nach Orwellś 1984 analysiert, dann gibt er sich im Sinne seines eigenen Anspruchs als unbequemer Künstler zu erkennen.

Auch das folgende Lied " Wenn die Börsianer tanzen " hat von seiner Aktualität nicht ein bißchen eingebüsst. Das unverschämte Gebaren jener selbsternannten Elite, die in Wahrheit ein armseliges Häufchen von verkrachten Existenzen mit einem dabei ausgelebten Ödipus-Komplex ist, wird in diesem Jahr weltweit in aller Breite sichtbar. Ratten und Schmeißfliegen, so hat der Ober-Bajuware FJS einst seine linken Kritiker genannt. Da diese längst verstummt sind, er selbst schon längst unter der Erde liegt, lässt sich jene Billigpolemik auf die heutige Avangarde der Finanzwirtschaft voll umfänglich übertragen. Konstatin setzt dabei - nicht nur musikalisch - feine Spitzen in Richtung der Berufsgruppe der Banker, Börsianer und sonstiger Geldschneider. Sein Klassiker war auch zu jenem Zeitpunkt mehr als eine zutreffende Warnung an die weitere Entwicklung der Weltökonomie und die dafür verantwortlichen Mächtigen.

Konstatin beendet seine Liedabfolge mit dem Wachmacher schlechthin: " Willy ", den er hier - als aktualisierter Vortrag - mit " Willy 4 " betitelt hat. Er spannt dabei in einer kritisch mahnenden Wortfolge, einen Bogen vom 11. 09. 2001 bis Juni 2002. Konstantin Wecker wäre nicht Konstantin Wecker hätte er auch für " Willy 4 " nicht eine unendliche Anzahl von Beispielen parat, die er - sich selbst am Klavier begleitend - auftischt, um in seinem Vortrag jene scheinheilige Moral der westlichen Hemisphäre gegenüber den anderen Erdbewohnern gnadenlos aufzudecken. Insbesondere die einstige Bush-Administration kommt hierbei in vielfacher Weise als Verursacher allen Übels zur Sprache.
Konstatin erntet für seinen verbalen Rundumschlag stampfenden Applaus - zur Recht, denn mit " Willy 4 " hat er eine rhetorische Meisterleistung abgeliefert.

Der musikalische als auch textliche Einschnitt nach dem Kritik-Stakkato von Konstantin fällt bei dem Lied von Hannes " Rosen im Dezember " zunächst schwer. Hannes hat ja viele Liedgutvarianten aus den vergangenen ahrhunderten aufgenommen und teilweise völlig neu gefasst. Hierzu zählt auch " Rosen im Dezember ", einer - wie er es einleitend selbst bewertend auf den Punkt bringt - Hommage an längst vergangene Zeiten. Wunderbar, wie seine sonorige Stimme zu seinem Gitarrenspiel dahin schwebt.


Ja, auch so manches alte Lied
gehört zu meinem Leben,
half mir, wenn ich gefallen war,
mich wieder zu erheben.
Da fliessen Brunnen, klar und kalt,
wer daraus trinkt, wird nimmer alt
und warum soll es solche Brunnen
nicht auch wirklich geben.

Solch einen Brunnen habe ich
bis heute nicht gefunden,
ich wollte manchen kühlen Trunk
draus trinken und gesunden.
Andere befreit und heilt,
die Zeit die schnell vorüber eilt
von allem Schmerz mir aber schlägt
die Zeit die tiefsten Wunden.

So bitten schon seit alter Zeit,
die Menschen um die Gabe,
ewiger Jugend ohne Leid,
und enden doch im Grabe.
Die alten Lieder selbst sind jung,
dass ich in der Erinnerung,
an ihnen wenn ich alt bin,
Rosen im Dezember habe.

Herrlich, Hannes!

Das letzte Stück der ersten CD lautet " Vater ś Land ". Hierin setzt er sich kritisch mit den Eigentumsverhältnissen in den Staaten auseinander, deren soziale Verwerfungen seit vielen Jahren größer werden. Auch der latente Antisemitismus und die Ausländerfeindlichkeit wird aufgeführt. Hannes formuliert jene - nicht neuen - Zeiterscheinungen in ein zwiedeutiges Wortkleid. Eine textliche Herangehensweise, die ihn von seinen früheren, den 60er und 70er Jahren, Schaffensperioden stark unterscheidet. Nicht völlig anders in ihrem Aussagewert, aber dennoch feinsinniger, was die exakte Wahl der Begrifflichkeiten betrifft.
Hannes ist - nicht nur rein biologisch betrachtet - in der Tat gereift, nicht mit der Zeit gegangen, aber dennoch immer up to date, was die bundesdeutschen Befindlichkeiten betrifft.

Die zweite CD wird eingeleitet von dem Stück " Wünsche ", dass Hannes auf der gleichnamigen CD als zweites Lied im Jahre 2001 eingespielt hat. Auf dem Album " Wünsche " befindet sich neben " Kleine Stadt " und " Vaters Land ", eben auch das Titellied. as Hannes neben seinen sozialkritischen Texten auch häufig vom Tod singt, dürfte nur denjenigen aufgefallen sein, die ihn über einen längeren Zeitraum begleiten. Hier geht es allerdings um einen Jungbrunnen und der Illusion, die ewige Jugend statt des Todes zu erhalten.

Nach dem Wunsch der ewigen Jugend folgt sein Lied " Erste Liebe ". Er skizziert auch hier die einst einfachen Verhältnisse in der Provinz. Zwischen geharkten Blumenbeeten,Rosenkreationen und einem Zierteich mit einem " Männeken Piss " als Sahnehäubchen, steht das biedere Einfamilienhaus, dass nun von seiner ersten Liebe bewohnt wird. Die Eltern sind wohl bereits verstorben, so dass statt ihrer, die erste Liebe zusammen mit ihrem Ehemann, dem Ex-Untermieter, der bei der Post einst als Beamtenanwärter dort das Dasein fristet. Eine Persiflage auf die Naivität der Hormon gesteuerten Jugend. Die Kleinbürgeridylle mit samt ihren einfältigen Verhaltensmunster kommt witzig-ironisch zum Tragen. Auch hier wird Hannes von Jo Barnickel einprägsam begleitet.

Der dritte Titel wird jetzt wieder von Konstantin Wecker vorgetragen. " Was passierte in den Jahren ". Es könnte auch als Frage formuliert sein. Konstantin leitet dieses Lied mit einer kurzen Danksagung an seinen Kollegen und Jubilar ein,dem er einen aufrechten Gang durch die Jahrzehnte attestiert. Wie wahr!
Er besingt aber auch die ungezählten Zweifel an dem eigenen Sein. Die genau so vielen faulen Komprisse, die jeder von uns ein Leben lang eingeht. All diese kleinen Unzulänglichkeiten eines vorbei ziehenden Zeitraums, der dann von ihm kritisch analysiert wird, in dem er textet: " Was passierte in den Jahren? Wohin hast Du sie verschenkt? Meistens hast Du die Geschicke dieser Welt vom Tresen aus gelenkt. Doch die viel nicht aus den Angel, dafür fielst Du manchmal um. Und für die, die Du bekämpft hast, machts Du jetzt den Buckel krumm."

Konstantin läuft dann zur Hochform auf. Die beiden folgenden Titel, " Stürmische Zeiten, mein Schatz " und " America " sind nicht nur vom Inhalt her, sondern auch durch das hervorragende Zusammenspiel mit dem ihn ergänzenden Jo Barnikel eine Ohrenweide. Das erste Stück umschreibt die Erinnerungen an die wilden Zeiten der deutschen Wiedervereinigung, der Titel " America " den Realzustand der vermeintlich mächtigsten Nation der Welt unter der Knute eines Ex-Alkoholikers als dessen Präsident.
Wenn ein ied politische Aussagen treffen will, dann gehören diese beiden Stücke von Konstantin mit Sicherheit dazu. Das Auditorium tobt, johlt und pfeift.

Bei den folgenden Vorträgen von Reinhard johlt es zwar nicht mehr, denn seine drei Lieder " Ich wollte wie Orpheus singen ", " 51er Kapitän " und " lass Liebe auf uns regnen " sind dazu eher nicht geeignet. Besinnliche Stücke, eines ganz großen Liedermachers, dem die feine Feder nie abhanden gekommen ist. Seine selbstironischen, kleinen, oft versteckten Spitzen in den dortigen Textpassagen haben eine Wirkung, als schösse er auch winzige Giftpfeile auf sein einstiges Umfeld. Das Liebeslied auf die regnende Liebe gibt allerdings Zeit zur Besinnung, über das,was im Leben vielleicht das einzig Wichtige ist: einen zuverlässigen Menschen bei sich zu haben, der dann auch noch mit einem durch alle Höhen und Tiefen schreitet. Sehr schön, Reinhard!

Sein vierter Titel wird mit vocaler Unterstützung durch Konstantin und Hannes zu einem durch schlagenden Erfolg in der ausverkauften Bielefelder Halle. Reinhardś " Diplomatenjagd " war über viele Jahre die Antwort auf das Jägerlatein. Eine mehr als gelungene Kritik an das schießwütige in jedem deutschen Spießer, ein Zerrbild der oberen Zehttausend und ihrer schruligen Art, sich selbst für ad absurdum zu führen. Auch hier tobt der Saal, ob der Hornblaseinlagen der drei Künstler.

Mit dem 10. Titel der 2. CD gibt sich Hannes ein letztes Mal " Gestresst ", denn er trägt das Stück - allerdings begleitet von Jo Barnikel und einer A-Capella-Karaoke -Einlage - ansonsten alleine vor. Ein textlicher Hinweis auf den Grundsatz, das Leben so zu nehmen, wie es kommt.

Mit dem Set " Sage nein! ", " Bella Ciao ", " So troll'n wir uns ", " Gute Nacht Freunde " und " Wer weiss " bestreitet das Trio gesanglich und das Quartett musikalisch seinen Abschied vor. Über 2 Stunden aufgezeichnete, ausgezeichnete deutschsprachige Folkmusik mit politisch, sehr scharfer Würze, gehen mit der Fesstellung zu Ende: " Wer weiß, was uns die Zukunft bringt, die niemand von uns kennt. Lass Freunde uns an diesem Tag, vergessen, was uns trennt. "

Das auditoriale Geburtstagsständchen ist nicht nur ein Dankeschön an jenes - für viele Anwesende - wohl unvergessene Konzert in Bielefeld, es ist vor allem eine Ehrenbezeugung an die mehr als gelungene musikalische Zeitreise mit den vier Künstlern. Ein " Muß " für jeden Fan, Freund und Interessiertes des folkloristisch geprägten und politischen Liedes.

Bis vor kurzem war ich der Überzeugung, dass ich mit dem Kauf dieser Doppel-CD ein einmaliges künstlerischen Ereignis konserviert erhalten hätte. Dieses war jedoch ein Trugschluss!

Am 15. Febraur 2004 trafen sich die drei Liedermacher zusammen mit Jo Barnikel anlässlich der Berliner Friedesdemonstraion aufgrund des begonnenen Irak-Kriegs erneut. Die Titel aus der Geburtstagskonzert-CD wurden durch drei weitere Stücke, nämlich Reinhard Meyś " Friedenslied ", Konstatin's " Willy " in aktualisierter Form und " Es ist an der Zeit ", dass Hannes einst komponiert hatte und jetzt von allen Drei gesungen wird, ergänzd. Leider ist die limitierte Auflage seit einiger Zeit nicht mehr verkäuflich. Schade.

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