Almena im Extertal: Wie Erinnerungen an eine Fahrradtour mit dem CVJM Bad Eilsen wieder wach werden.

Wer schon jenseits der 50 Lebensjahre mit dem Selbigen kämpft, dem kommen öfters einige Erinnerungen an die abgelaufene Zeit wieder. An jene Phasen des eigenen Daseins, die sich häufig mit bestimmten Erlebnissen verknüpfen lassen.
Damals, ja damals, da war so vieles anders. Ob nun besser oder schlechter, dass sei einmal dahingestellt. Es liegt wohl eher an der - von der Natur gegebenen Fähigkeit des Menschen - bestimmte Lebensinhalte später völlig verklären zu können, um dann einzelne Segmente hieraus in einem rosa-roten Licht zu malen.

Als ich vor mehr als 40 Jahren, nämlich im April 1969 meine Lehre zum Einzelhandelskaufmann bei einem Betrieb in Bückeburg aufnahm, versehen mit einem Hauptschulabschluss, der zu jener Zeit noch Volksschulabschluss hieß. " Lehrjahre sind keine Herrenjahre", so wurde es uns dann von den aus gelernten Kolleginnen und Kollegen eingetrichtert. Na, wenn schon. Ich war jung, gerade 15 Jahre, wenige Wochen vor meinem 16. Geburtstag stehend, als die Lehre begann. Naiv, unkritisch und ängstlich dazu. Die elterliche Erziehung war auf Befehl und Gehorsam ausgerichtet. Auch auf Pflichterfüllung, Zwang und Funktionalität.o, wie es zu jener Zeit üblich war.

Lehre, das hieß, um 6.30 Uhr morgens aufstehen, frühstücken, mit dem Fahrrad ab 7.15 Uhr auf der Bundesstraße in Richtung Bückeburg fahren,um 7.45 Uhr dort ankommen und ab 7.50 Uhr die Lager, die Schuppen und den Laden aufschließen. Das war der Job der so genannten Stifte, der Anfänger, die für jeden Fehler herunter geputzt wurden.

Die Freizeit reduzierte sich auf den Samstag und Sonntag, alle 14 Tage jedoch nur auf einen halben Samstag und den Sonntag. Der Sonntag war bereits ab 9.00 Uhr mit dem Kirchgang, der für die Vor - und Konfirmanden Pflicht war, unterbrochen. Ab 9.30 Uhr läuteten die Glocken zum Kirchgang in die Evangelisch Lutherische Kirche in Bad Eilsen. Im Mai war dann die Konfirmation. Danach haben wir die Kirche nur zu oft von außen betrachtet.
Dennoch gab es eine weitere Verbindung zu der Kirchengemeinde, dem Glauben und dem Evangelium. Durch den CVJM, dem Christlichen Verein Junger Männer. Hier wurde unterteilt zwischen Jugendschar und Jugendschaf - quasi in Analogie zu den Vorkonfirmanden und den Konfirmanden.

Da die Freizeitmöglichkeiten mehr als dürftig waren, hatten die Aktivitäten, die Veranstaltungen und die Zusammenkünfte bei uns, auch bei mir, einst Kultcharakter. Es war eine kleine, wechselseitig füreinander einstehende Gemeinschaft, die sich einst traf. geleitet von dem Sohn des Kirchenorganisten in Bad Eilsen, einem guten Freund von ihm und einige Male einer weiteren volljährigen Begleitperson, einem jungen Mann aus der Nachbarschaft. Wie der Name es schon hergibt: Es handelte sich nur um Männer, Schüler, Auszubildende eben.

Als wir im Sommer des Jahres 1969 dann eine Wochenend - Radtour in Richtung Extertal unternahmen, war die Aufregung zuvor mehr als groß. Ein Abenteuer für uns, eine Herausforderung, ein erstes Sichbewähren, es stand an jenem Juliwochenende vor der Tür. Die Vorbereitungen waren bereits im vollen Gange, als dann die Liste der Teilnehmer an einem Mittwochabend im Jugendheim auslag, standen schon bald über 20 Namen auf dem Papier. Damit war klar, dass die drei großen Zelte, auch Koten genannt, so gerade ausreichen würden, um jeden Jungen Platz zu bieten.

Jeder Teilnehmer war aber auch gezwungen, seinen persönlichen Beitrag zum Gelingen der Fahrradtour bei zusteuern. Nicht nur,dass das eigene Fahrrad in Ordnung zu sein hatte, ein Schlafsack mitzunehmen und später zusätzliches Gepäck der Gruppe auszuladen war, nein, auch die Disziplin musste eingehalten werden. Das bedeutete: Jeder Teilnehmer hatte pünktlich am vereinbarten Treffpunkt zu sein. So trafen wir uns ab Samstag um 14.00 Uhr vor dem CVJM-Heim in der Schulstraße in Heeßen und fuhren alsbald los.

Zunächst führte uns die Strecke bis zum Ende der Schulstraße in Heeßen. An der Kreuzung zur Straße " Im aWiesengrund " fuhren wir dann bis zum einstigen Lebensmittelfachgeschäft " Schramke" und bogen dort rechts in die Heeßer Hauptstraße ein, von wo es in Richtung Ortsmitte weiter ging. Nach wenigen hundert Metern führte die rechts einmündende " Auestraße " uns in Richtung der Bundesstraße 83. Hier radelten wir bis zur B 83, die wir einst noch gefahrlos überqueren konnten. Dort setzen wir die Tour, an der Autobahnauffahrt zur A 2 in Richtung Hannover/Dortmund vorbei fahrend, in Richtung Steinbergen fort. Hier bogen wir kurz nach dem Orteingangsschild rechts von der " Steinberger Straße " in die " Rintelner Straße " ein. Nach einigen Kilometern, die überwiegend bergab verliefen erreichten wir, an Todemann vorbei fahrend, die Stadt Rinteln. Einst besaß sie noch ein eigenes KFZ-Kennzeichen, nämlich RI, da sie als Kreisstadt des eigenen Kreises Rinteln eigenständige Verwaltungsaufgaben inne hatte. In Rinteln führte uns die Route über die Weserbrücke. Hier fuhren wir durch die Stadtmitte in Richtung B 238, die uns dann zum Ortsausgang führte. Hier mussten wir noch einige hundert Meter weiter radeln, ehe die Kreuzung zur L 435 uns links in Richtung Hameln fahren ließ. Die weitere Strecke verlief durch kleinere Dörfer, wie Hohenrode, Exten, Krankenhagen, Laßbruch, bis kurz vor Almena. Hier bogen wir links in einen Wirtschaftsweg ein, der einige hundert Meter von der Landstraße entfernt an einem kleinen Bach lag.

Nach etwas mehr als 18 Kilometer war unsere Fahrt zu Ende. Es dauerte eine Zeit, ehe die Zelte aufgebaut und das Gepäck verstaut war. Inzwischen war es später Nachmittag geworden. Wir suchten für ein Lagerfeuer genügend Holz und legten rings herum einige abgeholzte Baumstämme. Die Zeit verlief wie im Flug. Nach dem es ein deftiges Abendessen gab, dass aus Brot, einer selbst hergestellten Erbsensuppe und Bauchfleisch bestand, wurde das Geschirr abgewaschen. Anschließend saßen wir um das Lagerfeuer herum und sangen Pfadfinderlieder zum Klang von den beiden Gitarre unserer Leiter. Es wurde aber nicht nur gesungen. Gegen Mitternacht veranstalteten wir eine Nachtwanderung, die uns bis tief in den Wald hinein führte. Nach dem wir zum Klang eines Kofferradios, dass ein Junge mit genommen hatte bis in die frühen Morgenstunden gegen halb drei Uhr noch Popmusik hören konnten, legten wir uns zufrieden schlafen.

Lagerfeuerromantik, Gitarren und Gesang, dass war es, was einen pubertierenden jungen Menschen noch aus dem tristen Alltag heraus holte. Musik, dass war auch die Triebfeder des eigenen, späteren Lebens, dass ich dann ohne christliche Kirche und Gottesdienst, aber dennoch im humanistischen Sinne später weiter führen konnte.

Aus jenem sehr langen Sommerabend sind mir bis heute einige Begebenheiten in guter Erinnerung. Die bei einsetzender Dunkelheit herum fliegenden Glühwürmchen, das knarrzende Kofferradio, aus dem der Hit von " Simon & Garfunkel " mit dem Namen " The boxer " heraus plärrte und die - eher inhaltslosen - Unterhaltungen mit zwei mitfahrenden Jungen. Der Eine wohnte einst in Steinbergen, war Musikfan, so wie ich, und wurde einige Jahre später heroinsüchtig. Der Andere wohnte und lebte in Bad Eilsen auf einem abgewirtschafteten Bauerhof, wo er ein Zimmer renoviert hatte, in dem er eine über dimensionierte Stereoanlage eingestellt hatte, die er - um sich vor mir zu produzieren - immer aufriss. Er starb einige Jahre später bei einem Verkehrsunfall.

So kommen jene Erinnerungen auch dann hoch, wenn ich Zweifel an dem Sinn des eigenen Daseins hege. Wenn ich mich frage, was es im Leben eigentlich für Inhalte geben sollte, nach denen zu streben es sich lohnt und wenn die ungezählten Nachrichten über Unglücke, Elend und Tod, die aus der gesamten Welt täglich auf mich herein prasseln, mir dann doch sagen, dass es noch gute Seiten in dieser Gesellschaft gibt, wenn gleich sie nicht mehr mit jener von einst zu vergleichen ist. Warum sollte sie es auch sein? Stillstand ist gleich bedeutend mit Rückschritt. Aber nur dann, wenn aus den schlechten Dingen der Vergangenheit, die richtigen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden.

Das kleine Örtchen " Almena ", jenseits der niedersächsisch - nordrhein-westfälischen Landesgrenze, es ist mir auch wohl deshalb in guter Erinnerung geblieben, weil die Jugend viel zu schnell, in vielen Teilen jedoch oft zu langsam vergangen ist.

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