Ich liebe die Vor - und das Ende der Saison

Nun rollt sie wieder, die Urlaubslawine, bestehend aus diversen Schlangen vor den ungezählten Schalter der Fluglinien in den vielen Flughäfen Deutschlands, Europas und der Welt; aus den Hunderttausenden von PKW, Caravans und Wohnmobilen, jener großen, weißen Flotte, die bis vor kurzem noch eingemottet in den Garagen, Hinterhöfen und Scheunen standen; bestehend aber auch aus den langen Schlangen vor den Buffets in den Speiseräumen der Bettenburgen. Menschen, Menschen, Menschen, wohin das trübe Auge blickt. Ob nun mit oder ohne Begleitung, mit oder ohne Kind, mit oder ohne Urlaubsplan, sie alle wollen nur das Eine: Urlaub, Urlaub, Urlaub!

Wenn schon, denn schon, wenn, dann in den drei Sommermonaten, wenn, dann in den sechs Wochen Ferien, wenn, dann in den mindestens zwei Wochen Restjahresurlaub. Auf gehtś mit Gebrüll. In den Flieger, in den KW, in den Zug. Von Rügen bis zum Bodensee, vom Darß bis zur Eifel, von Amrum bis nach Zell am See - die Urlaubswütigen haben jetzt das Sagen.
Da hocken sie nun, in ihren gemieteten Strandkörben, unter den Vorzeltdächern bei Regen oder in den Lokalitäten bei Wind. Sie trinken, essen und warten - auf besseres Wetter. Auf bessere Zeiten zu warten, würde jetzt kaum lohnenswert sein.

Als ich kürzlich einen Artikel über die mehr als 250 Baustellen auf den Bundesautobahnen las, habe ich geglaubt, es würde viele Reiselustige davon abhalten, den eigenen fahrbaren Untersatz zu nutzen. Weit gefehlt, denn noch nie zuvor werden so viele Urlauber jene freie Zeit während der Sommermonate im eigenen Land verbringen. Das bedeutet aber auch, dass die Autobahnen zu einem Dauerstau einladen könnten. Warten, bis der Abend kommt und die Erkenntnis, dass nichts schöner sein dürfte, als bei Hitze zusammen mit vielen tausend weiteren Fahrzeugen auf eine Weiterfahrt zu hoffen.

Auch auf den Flughäfen der Republik von Flensburg bis nach München und von Berlin bis nach Köln-Bonn sammeln sich in diesen Tagen, Wochen und Monaten viele Zehntausend Passagiere,um in die geliebten Urlaubsorte gekarrt zu werden. Ob nun das 17. Bundesland Mallorca, die Seychellen oder nach Bali, die Urlaubswut der BRDler ist nach wie vor ungebrochen.Wenn eine Wirtschaftskrise tatsächlich eingetreten sein sollte, so hat sie vor den Toren der Touristikbranche halt gemacht.

Einst war deutlich zu erkennen, dass die Urlaubszeit begonnen hatte, denn die Straßen, Plätze und Geschäfte wurden zunehmend leerer. Auch heute noch gilt dieses als sicheres Zeichen dafür, dass es Sommer ist, wenn gleich das Wetter daran manchmal zweifeln lässt. Schon wenige Tage nach den Ferienbeginn in einigen Bundesländern nimmt auch die Flut der Meldungen in den diversen Nachrichtensendungen rapide ab. as berühmt, berüchtigte Sommerloch tut sich wieder auf. Inmitten des Reisedrangs fallen jedoch die Menschen kaum auf, die sich weder Urlaub noch Reise finaziell leisten können. Sie verstecken sich einfach und kommen aus ihrem Zimmer, ihrer Wohnung oder dem gepachteten Kleingarten erst dann wieder hervor, wenn der Spuk vorüber ist.

Vor vielen Jahren, während meines Studium gehörte ich weder zu den Reisenden, noch zu den Sich -Versteckenden, ich war einfach gezwungen die Zeit zu nutzen, um zu malochen. In Fabriken, an Fließbändern oder im Versand. Später durfte ich meine handwerklichen Fähigkeiten bei einem Facharzt für Ortopädie in Pennigbüttel bei Osterholz-Scharmbeck für 10,-- DM netto je Stunde unter Beweis stellen. Der Medicus versuchte ein zur Ruine verkommenes Bauerhaus zu restaurieren. Nun, die rbeit machte wenigsten Spaß, weil ich ständig an der frischen Luft war.

Nach dem Examen hatte ich ebenfalls keine Zeit großartig zu verreisen; vom Geld einmal ganz abgewesen. Nur einige Fahrten nach Schwinkendorf auf einem Bauernhof oder besser Pferdehof waren möglich. Jenseits der Hauptreisezeiten und der Zivilisation verbrachte ich dort mit meiner Familie einige anstregende Tage. Geplagt von einer Hustenallergie wegen des durch die Holzdielen aufsteigenden Ammoniaks in der Pferdepisse. Schrecklich!
Die Jahre verflogen, die Reiselawinen wurden permanent größer und ich nutzte heute die Vor - oder Nachsaison, um einige Tage zu entspannen.

Diese Zeit ist eh ruhiger. Die Menschenmassen sind längst wieder abgereist, die Sträde kaum besucht, die Lokale ebenso. Das Saisonende birgt unendlich entspannede Momente, so, wie sie im Lied von Reihard Mey beschrieben werden:



Die Tage werden kürzer und die Schatten werden länger.
Vor der Boutique friert im Kübel ein vergess'ner kleiner Baum.
Im Kurhaussaal rücken sie die Tische enger und heizen manchmal
schon den vord'ren Raum.

Der heißumkämpfte Tisch, den nur die Halbgötter bekamen,
ist nicht mehr heißumkämpft und plötzlich für dich frei.
Und dein Gesicht hat endlich für den Kellner einen Namen,
du bist auf einmal wichtig und nicht nur Tisch Nummer drei!

Die Speisekarte wird mit jedem Tag ein bißchen kleiner,
dafür mit jedem Tag ein bißchen größer die Portion:
Es muß jetzt alles weg, und wenn du es nicht ißt, ißt's keiner
ich liebe das Ende der Saison!

An den verwaisten Fahnenmasten klopfen lose Leinen
und irgendwo dort drüben schlägt ein Gartentor im Wind.
Wie all diese Geräusche deutlicher und lauter scheinen,
wenn erst die lauten Stimmen der Saison verklungen sind!

Wenn sich jetzt zwei begegnen, ist das fast eine Verschwörung,
und Wildfremde erzähl'n dir ihren ganzen Lebenslauf im Flüsterton,
denn Sprechen wäre jetzt schon eine Störung.
Jetzt hat nur noch die Post und morgens der Schuhladen auf.

Einen Sommer lang bist du um ein Paar herumgestrichen,
unverschämt teuer, doch gefallen würd' es dir schon,
seit gestern abend ist das alte Preisschild durchgestrichen:
Ich liebe das Ende der Saison!

In der Strandgalerie hängt nur ein Bild, drauf steht:
„Geschlossen", der Kiosk und das Eiscafe machen nach und nach dicht.
In Spinnweben über den verwitterten Fenstersprossen
zittern glitzernde Tautropfen im späten Sonnenlicht.

Wenn jetzt die Sonne scheint, dann ist das nicht mehr selbstverständlich,
und du nimmst jeden Strahl einzeln und dankbar hin.
Nichts ist mehr so wie's war, und du kannst spür'n:
Alles ist endlich. Auch wenn du's nicht verstehst, ahnst du doch:
Es hat seinen Sinn.

Du brauchst nicht mehr
über die Gehsteigzuparker zu meckern:
Die Autoschickimickis sind schon längst auf und davon mit ihren Pelzdamen,
deren Hunde die Wege vollkleckern
ich liebe das Ende der Saison!

Vorm Dorfkrug stehen ratlos ein paar Kästen leere Flaschen.
Im Schaukasten gilbt ein Menü aus längst vergang'ner Zeit.
Der Regen hat die Kreide von den Schrifttafeln gewaschen,
wer jetzt noch hierher kommt, der weiß ja sowieso Bescheid.

Wer jetzt noch hierher kommt, der hat gelernt, sich zu bescheiden,
und wenn er wieder geht, wird er ein Stückchen weiser sein:
Du brauchst im Leben wirklich nur, um keine Not zu leiden einen Freund,
ein Stück Brot, ein Töpfchen Schmalz und ein Glas Wein!

Und all das gibt es hier noch allemal an allen Tagen,
und wenn du klug bist, werden Leib und Seele satt davon.
„Und übrigens, die Runde geht auf mich!" hör' ich mich sagen.
Ich liebe das Ende der Saison!

Und denk' ich dabei, ich stünde gern in fernen Tagen
am Fenster einer kleinen, langsam schließenden Pension,
und sähe auf die Wege meines Lebens und könnt' sagen:
Ich liebe das Ende der Saison!

Ein wunderbarer Text; mit sehr viel Lebensweisheit und noch mehr Wahrheit über die wahren DInge unseres Lebens!

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