Wie krank ist das (Gesundheits)system eigentlich?

Ein Artikel aus einer regionalen Zeitung im nordwestlichen Niedersachsen machte mich einmal mehr sehr nachdenklich. Eine approbierte Ärztin sollte aufgrund eines gegen sie erwirkten und ergangenen Versäumnisurteils und einer daraufhin eingeleiteten Zwangsvollstreckung die eidesstattliche Versicherung zur Offenbarung ihres Vermögens abgeben. Hierzu erschienen - pressewirksam ins Bild gestellt - der Rechtsanwalt der Klägerin, seine Mitarbeiterin ( wohl eine ausgebildete Rechtsanwalts-und Notariatsfachangestellte) sowie der zuständige Gerichtsvollzieher. Hintergrund jener Story war ein gegen jene Ärztin angestrengter Schadenersatzprozeß vor dem Landgericht Hannover - ihrem Wohnort. Sie soll vor etwa drei Jahren im Rahmen einer Kurz-Behandlung als eingeteilte Notdienstärztin eine Falschdiagnose bei einer damals 67-jährigen Patientin abgegeben haben.

Nun ist ein solcher Fall bereits längst zur Alltäglichkeit geworden. In der BRD gibt es jährlich mehr als 100.000 dieser, so genannten " ärztlichen Kunstfehler " - Tendenz steigend. Aus dem einstigen "Traumberuf" ist nämlich ein existenzieller Kampf um einige Krümel von dem Riesen-Kuchen, der da "Gesundheitindustrie" heißt, geworden. Dadurch müssen sich viele der in der BRD zugelassenen Ärzte mit Jobs und Arbeitsbedingungen herum schlagen, die die Grenze der körperlich-seelischen Belastbarkeit und die der Selbstausbeutung längst überschritten haben. Eine alternde Gesellschaft, ein marodes System und eine immense Konkurrenz auf einigen Gebieten der ärztlichen Dienstleistungen, lassen den - nach einem langen Studium - heran gereiften Jungmediziner sehr schnell auf den harten Boden der Realität zurückkommen.

Wer - wie woanders auch - keine Beziehungen oder das "richtige" Elternhaus vorweisen kann, wird zum Kuli des Molochs " Deutsches Gesundheitswesen ". Sie/Er muss sich dann irgendwo, irgendwie, irgendwann als angestellte/r Ärztin/Arzt verdingen. Zu Bedingungen,innerhalb derer der obligatorische Zeitarbeitsvertrag eher das kleinere Übel sind. Überstunden, Bereitschaftsdienste und eine unendliche Papierflut gehören zu den mehr als unangenehmen Begleiterscheinungen des Medizinerberufs. Da kann dann auch schon einmal schnell der Frust aufkommen.
Ein demotivierter Arzt ist jedoch eine tickende Zeitbombe. Da dürfte es dann nur eine Frage der Zeit sein, wann er einen gravierenden Fehler mit unabsehbaren Folgen macht. So geschehen in dem ersten Fall jener Notdienstärztin aus Hannover.

Was folgt sind oft jahrelange Auseinandersetzungen und Prozesse mit dem Geschädigten. Zwar gehen solche Verfahren per se zugunsten des Mediziners aus, dennoch kann aber ein dickes Ende für den Medicus durchaus möglich sein. Die Ärztin ausHannover steckte wohl bald den Kopf in den Sand und wurde zum Spielball des zivilprozessualen Verfahrenwegs. Gegen die alsbald eingereichte Klage der Ex-Patientin setzte sie sich - wohl aus Kostengründen - nicht zur Wehr. Es kam, wie es kommen musste: Es erging ein Versäumnisurteil aus dem der beauftragte Rechtsanwalt in der nahe belgenen Kreisstadt die Zwangsvollstreckung gegen sie betrieb. Nachdem immer noch keine Reaktion von der Ärztin ersichtlich wurde, griff der Jurist zum letzten Druckmittel: Er beantragte einen Haftbefehl gegen die Verurteilte und ließ diesen über den Gerichtsvollzieher vollstrecken. Verhaftung! Gefängnis zur Erzwingung einer Vollstreckunghandlung? Sie erkannte spät, wohl aber noch nicht zu spät, den Ernst der Lage und offenbarte sich - wie es so schön heißt. Kein Vermögen!Keine Haftpflichtversicherung!Keine Aussicht auf finanzielle Besserung! Jene Dreifaltigkeit, mit der der Normalschuldner dem Gläubiger die "Arschkarte" zeigt,könnte auch hier - vorallem aber hier - zu einem Fiasko werden. Wenn die Ärztin keine Haftpflichtversicherung besitzt, darf sie eigentlich nicht praktizieren, denn die Voraussetzungen für eine Approbation sind nichterfüllt. Wenn sie aber nicht praktiziert, verdient sie kein Geld - womit HARTZ IV drohen könnte. Sow eit, so gut, dennoch gibt jener Fall nicht nur zu denken, nein, er hinterlässt bei dem Rezipienten jenes Lokalblatt-Artikels einen bitteren Nachgeschmack. Vorallem deshalb, weil auch dieser Fall eben kein Einzelfall ist.

Die Ärzteschaft gibt sich - wie in anderen freiberuflichen Metiers üblich - mehr als gelassen oder schweigt, soweit die Standesvertretung hierzu befragt wird. Nicht nur das Krähenprinzip greift, sondern auch das Schweigegelübte, wenn´s um derartige Unannehmlichkeiten des täglichen Lebens geht. Schon längst ist jede zweite Praxis in den Neuen Bundesländer von der Insolvenz bedroht. Auch in Westdeutschland dürfte so mancher Mediziner einen Berg Schulden vor sich herschieben, den selbst die übernächste Genration nicht abtragen kann. Es ist etwas faul, im Staate Deutschland. Die Schere zwischen "Arm " und " Reich " geht nicht nur im normalen Leben immer weiter auseinander. Es trifft seit einigen Dekaden auch die Berufszweige, bei denen einst die Damen und Herren als Mittelständer gut bis sehr gut von ihrer Arbeit leben konnten.

Der geschilderte Fall stellt somit nur die Spitze jenes Eisbergs dar, der immer gewaltiger wird. Insolvenzen, die aufgrund einer einst ausgeübten selbständigen Tätigkeit statistisch zu Buche schlagen, nehmen bedrohlich zu. Jeder einzelne Fall wird dann ein Martyrium für den Schuldner, wenn die Gläubigermeute ihn irgendwann zur Abgabe der eidestattlichen Versicherung zwingt. Ein Negativ-Eintrag bei der sechsten Gewalt im Staate,der SCHUFA, heisst: Keine Kredite mehr, keine Abzahlungsgeschäfte mehr, oft kein Konto mehr! Pleitegeier kreisen über der betroffenen Person - da nutzt dann auch kein akademischer Titel. Armer Staat, arme Gesellschaft, verarmter Mittelstand - das hatten wir doch schon einmal?











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